In keinem Aktionskunst-Geschichtsbuch fehlt es: das Foto von Joseph Beuys, wie er sich am 20. Juli ’64 beim Fluxus-Festival im Aachener Audimax eine blutige Nase holte. Damit war die Verbindung von Avantgarde, katholischer Symbolik, Gewalt in der Provinz und AStA-Kulturreferat gelegt, die noch ein paar Jahrzehnte lang fruchtbar bleiben sollte.
Beuys, bis dato noch spätexpressionistischer Bildhauer, fand an diesem Abend die Formel für den Rest seiner Karriere. Interessanter für Untergrundkulturelle waren die anderen Beteiligten im Audimax: Henning Christiansen, Robert Filliou, Tomas Schmit, Ben Vautier, Wolf Vostell und Emmett Williams. Wir zitieren Seite 13 des informativen Buchs mit dem denkwürdigen Titel Wollt Ihr das totale Leben? Fluxus und Agit-Pop der 60er Jahre in Aachen, das 1995 vom Neuen Aachener Kunstverein veröffentlicht und von uns in einem Amsterdamer Ramschbuchladen gefunden wurde:
Das Aachener Festival hatte auch aus künstlerischer Sicht weitreichende Folgen; die zahlreichen, vor allem wegen des Tumultes erschienenen Presseberichte machten die Fluxus-Kunst nicht nur innerhalb der kleinen Szene bekannt oder lockten auswärtige Künstler ins Rheinland. Für die Fluxus-Künstler selbst bedeutete der ’20. Juli‘ ein Heraustreten aus der Galerie- und Insider-Atmosphäre in die größere Öffentlichkeit.
Kaum überraschend jedoch das Fazit:
Der Stellenwert des ‚Festivals der Neuen Kunst‘ ist in der Geschichte der internationalen Aktionskunst sehr hoch angesetzt, für die lokale Kunst- (und Hochschul-) Geschichte spielte es bisher kaum eine Rolle.
Immerhin gründete der Veranstalter, Architekturstudent und AStA-Kulturreferent Valdis Abolins, gemeinsam mit vier anderen Studenten 1965 eine „Galerie Aachen“, die bis zu ihrer Pleite ’67 unter anderem die Fluxus- und Aktionskünstler Dick Higgins, Alison Knowles, John Latham und Per Kirkeby sowie Nam June Paik und Charlotte Moorman für Live-Auftritte in die Stadt holte. Der AStA organisierte 1965 ein gemeinsames Konzert von Michael von Biel und Cornelius Cardew (mit Stücken von John Cage und LaMonte Young) sowie einen Auftritt des Living Theater. Dem Filmstudio der Hochschule ist ein Abend mit Wolf Vostell und Kurt Kren im Jahr 1967 zu verdanken, der RWTH-Fachschaft Architektur eine Aktion von Günter Brus im Jahr 1968.
Am Ende des Buchs heisst es treffend:
In der Rückschau betrachtet ging die seltene und faszinierende Aktionsheinheit von künstlerischer Avantgarde und studentischer Oppositionsbewegung in der 68er Zeit allmählich ihrem Ende entgegen. Sie mündete in eine Polarisierung von radikal-politisierter Studentenschaft und sich wieder institutionalisierender Avantgarde-Kunst. […] Nachdem 1968 durch den Sammler Peter Ludwig, der selbst einige Male in der Galerie Aachen Eröffnungen beiwohnte, erstmals Pop Art ins Suermondt-Museum hineingebracht worden war und 1970 dann die „Neue Galerie der Stadt Aachen“ eröffnet wurde, hielt die Moderne ihren Einzug auch in kommunale Kulturinstitutionen und bürgerliche Sammlerkreise.
Wir werden in lockerer Folge über Fluxus und seine Aachener Nachwirkungen berichten. Frage an unsere Leser: War jemand bei den Aktionen in den 60er Jahren dabei? Sind die „Aachener Jazzmusiker“ Feldmann/Flimm/Haselhorst/Kreusch/Werth/Zabka beim Konzert von Biel und Cardew die Vorläufer des legendären Scratch Orchestra, in dem u.a. auch Brian Eno, Eddie Prevost, Keith Rowe und Stefan Szczelkun spielten? Und wer weiß mehr über die Kunstinitiative „Gegenverkehr“, die 1968 der „Galerie Aachen“ nachfolgte?
[…] Dass Cage, Fluxus, Intermedia- und Performancekunst nach einem halben Jahrhundert (mit Anfängen auch in Aachen) im deutschen Stadttheater angekommen sind und dort noch für Kopfzerbrechen über die klassische […]
Pingback von Von UKW und Bierfront via John Cage zum “Aachen Musicircus” | Aachener Untergrund Kultur — 24. Dezember 2013 @ 7:39 pm
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