Aachener Untergrund Kultur

12. August 2013

Aachener „Punkscene“: Pein-harte Einblicke ’83

Filed under: 1982, Aachen in den 80ern, Peinhardt-Franke, Punk auf dem Land, Punk in Aachen — Schlagwörter: — Dieter Antonio Schinzel @ 12:09 pm
Peinhardt-Einblicke in Aachener Subkulturen 1983

Vor ihrer Laufbahn als Lokalkulturjournalistin war Ingrid Peinhardt (heute Peinhardt-Franke) Mitherausgeberin und -Autorin des soziologischen Sammelbands „Einblicke – Jugendkultur in Beispielen“, der 1983 im Nomos-Verlag erschien und sich laut Vorwort (S.7) „einer Arbeitsbeschaffungsmaßnahme des Arbeitsamtes Aachen“ verdankte. Da sich seine „Beispiele“ praktischerweise auf Aachen beschränken, entpuppt sich der Band als reicher Retrofundus u.a. über die Band Ex, die Macher der Fanzines Domestos und Volksbegehren, die Heavy Metal-Clique Piranhas, die Anfänge des Autonomen Zentrums, die als „U“ (wahrscheinlich UKW), „RF ehemals V“ (?), „CD“ und „VF“ abgekürzten „Jugendkneipen“ und noch viel mehr. Überzogen ist dieses Material mit einer dicken Schicht unfreiwilligen soziologisch-sozialpädagogischen Humors. Wir werden es in einer Reihe von Beiträgen gebührend ausschlachten!

Auf S. 205-221 lesen wir, wie sich Frau Peinhardt und Ko-Autorin Carmelita Lindemann verwegen in die damalige Aachener „Punkscene“ im „VC“ stürzten, wo sie „pausenlose[r] »Verarscherei«“ ausgesetzt waren. Das vollständige Kapitel sowohl im Blog, als auch als Scan zum Herunterladen:

Punks

Carmelita Lindemann, Ingrid Peinhardt

Punks in der BRD

Die Mitte der 70er Jahre in England entstandene Punkwelle wurde erstmals 1976 durch die Presse auch in Deutschland bekannt. Die Wurzel der Punkbewegung in England liegt in der durch die Arbeitslosigkeit hervorgerufenen Verelendung. Punk als Gruppen- und Musikstil – schreiend, aggressiv, abstoßend und schockierend – wurde von deutschen Jugendlichen übernommen, war aber grundsätzlich anders orientiert als in England. Der Stil wurde kopiert, er hat keine eigene Entstehungsgeschichte. Hier wird er von keiner sozial so genau abgrenzbaren Gruppe praktiziert.

»Es gibt ganz normale Lehrlinge und Angestellte, Schüler und ein paar Studenten, viele Arbeitslose und Leute, die keine Lehrstelle gekriegt haben.«1

Seit seiner Entstehung hat der Punkstil in Deutschland eine Entwicklung durchgemacht, wobei aus einem kreativ-individuellen Ansatz eine von der Konsumindustrie ausgebaute Modewelle wurde.

»Früher, die Mädchen, die haben sich das selber gemacht, aus’m Dreieck, aus’m Lineal. Sowas find ich gut, wenn man selbst was entwirft oder … eigene Ideen hat und nich einfach das kauft. Man kriegt auch jetzt diese Gürtel für Punks zu kaufen, hier, das kriegste auch, kannste alles kaufen. Du kannst Dich total als Punk einkleiden.«2

Punks in Aachen – allgemeine Beschreibung

Der Hauptteil unserer Untersuchungen lief in einer Kneipe in der Nähe des Aachener Zentrums ab. Sie war zu der Zeit Haupttreffpunkt der Punks, die auch die ganze Atmosphäre in der Pinte bestimmten. Die Szenerie war bunt, laut und durch ein ständiges Raus und Rein durch das Fenster sehr bewegt.
Das Verhalten der Punks war frei und ungehemmt, sie legten sich selbst Platten nach ihrem Geschmack auf oder brachten zum Teil eigene Kassetten mit, so daß auch die Musikrichtung voll in ihrem Griff war.
Der Wirt ließ die Punks weitgehend gewähren. Obwohl er, inzwischen 30 Jahre alt und immer noch mit langen Haaren, dem Rockstil der 60er/70er Jahre anhängt, versuchte er stets für die Punks Verständnis aufzubringen. Diese dagegen bemühten sich, ihn durch Witzeleien und Bemerkungen über seine langen Haare zu provozieren und ihren Spielraum auszutesten.

»Ja, das ist S., der mit den langen Haaren. (Allgemeines Gelächter). Die ihm immer im Gesicht rumfliegen …
S., du bist auch froh, daß de leben darfst, wa?«3

Für eine ganze Weile war das VC die einzige Kneipe, in der sich die Punks, nachdem sie aus mehreren anderen Pinten rausgeflogen waren, ungestört aufhalten konnten.

»Dat hat sich so entwickelt, aus einigen Pinten so sind wir rausgeflogen, aus dem Bügeleisen, das war so die letzte wo wir waren, aus’m Vanilla, aus’m UKW wo dat aufgemacht hat … «4

Obwohl die Aachener Punks bei Kneipenbesitzem, Polizei und Leuten auf der Straße oft auf Konfrontationskurs gehen und z. T. handfeste Schlägereien haben, sind sie nicht so »extrem« wie in anderen Großstädten, z. B. Köln oder Düsseldorf- sowohl äußerlich als auch verhaltensmäßig.
Äußerungen von Leuten, die oft mit Punks zusammen sind, sich selbst aber nicht direkt dazuzahlen, unterstützen die Beobachtung:

U: Ach Punks, das sind doch alle keine Punks! Das sag ich!! Die Einstellung, so wie es ursprünglich geprägt worden ist wie in England die Punks und so … das findet man in Deutschland kaum, selten, in Aachen z.B. gibt es vielleicht 2 oder 3 die echte sind, die echt so leben, aus der Mülltonne kommen, nichts zu essen, nichts zu saufen haben, Eltern was weiß ich – geschieden oder so – total kaputt, vom Leben und so – so was gibt es echt selten …
I: So wie du das erzählst, verbindest du mit Punks immer etwas wie asozial … und schlechte Erfahrung …
U: Noch nicht mal, ja-nee-, ja, das, das kommt, ja das kommt aus schlechten Erfahrungen, aus den ziemlich schlechten Verhältnissen, die gegeben worden sind, aber so, wie es das gibt, das sind meines Erachtens, so wie sie sich geben und so, als Punks oder so, gefärbte Haare, und so und all den Scheiß, was weiß ich, das sind alle Kommerzpunks.
I: So die jetzt hier sind …
U: Ja, die Jungs die wolln auch, da kannste jeden, jeden einzelnen fragen, das ist, das kannste fragen, ja, wenn de die fragst, ja, biste ein Punk, ja denn sagt keiner, ja, da sagt keiner, ich bin ein Punk, oder so, das sagt keiner.

Bei den Punks selbst besteht in ihrer Selbsteinschätzung ein Widerspruch. Auf der einen Seite stellen sie die Bewertung – richtiger Punk – falscher Punk – in Frage und wehren sich gegen eine Einschatzung als »normaler« Punk, auf der anderen Seite grenzen sie sich aber von denen, die am Markt oder im H. verkehren, energisch ab.

I: Seid ihr mal in England gewesen?
M: Ich. Die andern weiß ich nich.
I: In London? … Haste denn da auch Punks kennengelemt, richtige echte harte?
M: Punks und Rastas, sowohl als auch. Was heißt richtige echte harte, ne, ich find so ’ne Klassifizierung ziemlich blöde ne, »richtiger harter«. »richtiger falscher«, ne.

Es gibt ’n Lied von Dings von Slime, wa, »Ich bin ’n Pseudo«, aber wer, wer sagt, wer das Original is, ne, und irgendwo ham die Recht.
I: Hm.
M: Ich mein, wenn des im Grund siehst, der Kreis der hier meistens is, is teilweise, das hab ich mal mit ’nem Freund beredet, ziemlich arrogant und so gegenüber manchen Leuten, …
Also so, ob wir so die Elite warn oder sowas.
I: Hm.
M: Aber die Tatsache is, wer will festsetzen, was normal is. In Düsseldorf is es aber noch schlimmer.

Die Erkenntnis, daß sich die Bohemepunks wie eine Elite geben, wird durch die Abgrenzung zu den Punks im H. unterstrichen.
M: der größte Witz des Jahrhunderts ist das H. – da habt ihr echt nen Bock geschossen im H.
I: wenn de mir das erklären würdst . . .
M: Ja, was heißt erklären. Da sind einige Leute, die sitzen am Markt rum, die sitzen auch da, wo wir sitzen, labern ziemlich viel von Punk, aber im Grunde labern sie nur Scheiße. Und deshalb sind die auch nich hier, ne. Die Leute, die hier sind, ja, kannste schlecht sagen ne, weil die sind irgendwo die Leute aus Aachen und Umgebung, die immer zusammen sind, und … nich immer irgendwo lustig drauf sind und die nich irgendwie Scheiße labem, die zwar vielleicht gefärbte Haare haben und Nietenarmbänder und alles aber nich dicke sagen Boh, bin ich ’n harter Punk.
I: Hm.
M: Sondern die echt auch das aus Spaß an der Freude machen und alles, ne, und die Leute, die jetzt noch im H. sind, sind größtenteils irgendwelche Leute, so Mitläufer oder so so dicke labern, ‚bin ich ’n harter Punk, nur weil ich abstehende Haare hab‘ oder so. Die Leute, die jetzt da noch rumhängen … die kannste aber echt vergessen.
I: was machen die denn so? Gehen die arbeiten oder zur Schule …
M: So gut kenn‘ ich die Leute nich, ne, die sind zwar am Markt dabei, aber, was ich eben schon sagte, ne, das sind teilweise … arrogante, … nich drum kümmern. Du kennst’se vom Sehen, die begrüßen dich, weil se z. B. toll finden, weil se wissen, du bist eben einer von den Leuten, die in Aachen bekannt sind und so ne, … laberst mal kurz mit denen »Haste den und den gesehen?« und mehr nich, ne.

Die Aachener Punkszene ist nicht eine genau abgrenzbare, einheitliche Gruppe, sondern weist eine große Heterogenität auf. Die Grenzen zu anderen Gruppen sind fließend.
Durch die Entwicklung, den der Punk in Aachen durchgemacht hat, entstanden 2 große Gruppierungen: die eher proletarischen und die Bohemepunks. Erstere stellten den Anfang der Szene dar. Sie befanden sich in der Berufsausbildung und wurden nach Abschluß der Lehre arbeitslos oder hörten schon zwischendurch auf. Mit der Zeit stießen immer mehr Mittelschichtsjugendliche zu ihnen, damit wurde der Punk ein schichtenübergreifender, breiter Stil. Schüler und Abiturienten, die durch die Eltern materiell abgesichert waren und durch ihre Schulbildung noch eine einigermaßen Berufsperspektive hatten, entwickelten sich zu einer Boheme. Schockierender Non-Konformismus allein reichte ihnen nicht. Sie richteten ihr Äußeres mit besonderer Sorgfalt her und verwandten viel Zeit darauf, Kleidung und Haare besonders ausgefallen zu gestalten. Im VC bot sich immer eine bunte Szene dar: kükengelb, grün oder lila gefärbte Haare, ebenso sorgfältig gefärbte – oder besprühte – T-Shirts, Jacken und Schuhe.
Die Gestaltung des Körpers, »living art« zeigt in gewisser Hinsicht eine Verbindung zu Teilen des Mods.6
Die besondere Kreativität entsprang einem Wunsch nach Individualität.

I: Mochtest du denn etwas mit Poppern zu tun haben oder mit denen in Verbindung gebracht werden?
GB: (Gelächter) Nein, in Verbindung mochte ich mich nicht mit denen bringen. Man muß ja auch irgendwann mal was feinere Kleidung tragen. Dann fällt man eben wieder unter den eigenen Leuten auf. (lm Zusammenhang eines Gepräches über gelb geflirbte Schuhe)
S: Ich trage das Auto, weil das noch keiner hat. Weil ich das gut find, daß die anderen Leute das nicht haben. Die Haare hatte ich schon so, bevor ich in die Gruppe kam.
(Eine Abiturientin, die ein kleines Auto als Ohranhänger trug)

Der besondere Anspruch auf Kreativität zeigt sich noch auf anderen Gebieten: in der Herstellung eigener Fanzines, einem Gemisch aus Collage, Information über die örtliche Musikszene und selbst geschriebenen Geschichten. In kleinen Auflagen photokopiert und handgefalzt wird es im Selbstverkauf vertrieben.7
Die Mädchen bildeten eine 3. Gruppierung. Im Gegensatz zu den Jungen waren sie uns gegenüber eher mißtrauisch und zurückhaltend. Meistens setzten sie sich alleine an einen Tisch und blieben unter sich. Eine Ausnahme bildeten 2 Mädchen, die einerseits durch ihr ungehemmtes und provozierendes Verhalten und andererseits durch ihren »Mäusekult« auffielen. Zwei kleine weiße Mäuse zählten zu ihren ständigen Begleitern, sie wurden überall mit hingenommen. Im VC wurden die Tiere mit Begeisterung aufgenommen und konnten ungehindert auf der Theke hin- und herlaufen.

Die hier dargestellten 3 großen Gruppierungen mit ihren verschiedenen Sozialisationen wurden im Verhalten untereinander nicht erkennbar. Trotz unterschiedlicher Ausgangssituationen bildeten sie eine große Clique, die sich gut verstand und zusammen viel Spaß hatte.
Die Kommunikation untereinander verlief offen und locker, jedoch immer auf einer oberflächlichen Basis. Persönliche Probleme wurden nicht mit eingebracht.8

Punk in Aachen als subkultureller Stil

»Zum Stil gehören Kleidung, Rituale des Auftretens, wie Benehmen und Sprache. Der Stil ist ein Medium, das eine Vielzahl von Botschaften enthält.«9

Die Aachener Punkgruppe zeigte, daß man Punk weder einer sozial abgrenzbaren Gruppe noch einer bestimmten politischen Richtung zuordnen kann. Die Skala der politischen Einstellungen reicht vom Anarchisten bis zum CSU-Anhänger. Ihnen gemeinsam ist ihr Stil, Ausdrucksmittel einer oppositionellen Haltung der jetzigen Gesellschaft gegenüber. Eine besondere Form des Protestes Jugendlicher, die sich eine Öffentlichkeit schaffen, indem sie Raum in einer Stadt für sich beanspruchen und sich demonstrativ zeigen. Die Aachener Marktszene, Mittelpunkt der Stadt, wird im Sommer von den Punkern beherrscht. Ohne Scheu räkeln sie sich auf der Rathaustreppe, unbeachtet der anzüglichen Kommentare der vorbeigehenden Leute und der beobachtenden Blicke der Polizisten, die ständig auf ihren Pferden anwesend sind.
Der Punk hat eine Asthetik entwickelt, »die oppositionelles und subversives Verhalten gegenüber der Gesellschaft ausdrückt.«10
Allen öffentlich gelebten Gruppenstilen sind bestimmte typische Verhaltensmerkmale zueigen, die gerade bei den Punks besonders ausgeprägt sind. Es ist allgemein der weitentwickeltste Stil, er ist allumfassend und zeichnet sich durch eine besondere Intensität aus. Die Regelverletzungen bürgerlicher Lebenszusammenhänge, die Zinnecker in der Shell-Studie angibt, sind bei ihnen verstarkt zu beobachten.11

  1. Meistens trafen wir die Punks in der Nacht im VC an, wo sie bis zum frühen Morgen blieben. Sind wir ihnen zufällig einmal morgens in der Stadt begegnet, sahen sie wie Leichen aus, grau und leblos. Sie hatten ihren Tag/Nacht-Rhythmus verdreht. Raum- und Zeitregelungen werden total durchbrochen.

    »Die unanständige Alterskultur deplaziert Handlungen, Kleidungsstile, konventionelle Gesten.«12

    Beispiel: Übernachten auf öffentlichen Plätzen
    Z: wir war’n letztes Mal am Markt, da war ich echt kaputt, drei Uhr morgens, da hab ich mich da hingelegt, hab gepennt …

    Die Nacht zum Tag machen
    R: … ich komm meist erst nachts, so ein, zwei Uhr. (in das VC)

  2. »Subkulturelle Gruppen entwickeln ausgeklügelte Verhaltensarsenale als kulturelle Ersatzformen für bürgerlich-geordnete Korperbewegungen, Korperhaltungen, Gestiken usw.«
    Die Punks hatten ein großes Repertoire im Grimassenschneiden. Bei einem Versuch, mit einem Punk ins Gespräch zu kommen, kam als Antwort immer nur ein Hochziehen der Augenbrauen, Augenrollen oder Grimassen.
    Die Gespräche wurden ständig von Gestikulierungen, Schulterzucken und sonstigem deplazierten Verhaltensrepertoire begleitet.
    Normales Gehen wurde bei ihnen zum Schleichen, Sich-Vorwärtsschieben, Schlurfen oder zum Aus- und Abwippen, die Hände wurden unkoordiniert dazu bewegt, bzw. schliffen beim Gehen fast über dem Boden.
  3. Die bürgerliche Welt ist mit bestimmten Tabus behaftet, zu denen z. B. Sexualität, Brutalität, bestimmte politische Extremgruppen (Faschisten), zählen. Diese Bereiche werden von den Punks hemmungslos thematisiert, womit meistens der Versuch verbunden ist, durch Provokation den Gegenüber zum Zusammenbruch zu bringen. Die unterste Stufe ist die pausenlose »Verarscherei«, direkt zwischen den Personen oder aber über einen Dritten in dessen Beisein.
    Die Provokation ist aber auch gegen Erwachsene gerichtet. Die nach außen hin glatte, bürgerliche Oberflache soll aufgebrochen werden, um den Kern, den sadistischen und hochemotionalen Punkt zu treffen.13
    Auch dazu, besonders zur »Verarscherei« boten die Interviews viel Material. Zu Beginn unserer Interviews versuchten die Punks, uns durch ihre Sprüche zu verunsichern:
    X: Eh, das ist vielleicht der Verfassungsschutz …
    I: ne, wir sind nicht Verfassungsschutz!
    S: Also, das sind alles meine Kinder, wa … (Gelächter) Habt ihr ’nen Dienstausweis?
    I: Hab ich nich …
    X: Dann müssen wir die Aussage verweigern .. .
    B: Gib sofort das Tonband her (scherzhaft) … Was kriegen wir denn für son Interview?
    I: Ich geb euch ein Bier aus …
    S: Hallo, hallo … (Gelächter)

    Das nächste Beispiel zeigt den souveränen Umgang mit hochemotionalen Themen wie Atombomben und faschistischen Gruppierungen, die phantasievoll verknüpft werden und den Gesprächspartner schockieren sollen, um ihn letztendlich zum Zusammenbrechen zu bringen.
    M: Hör mal, ich als Lehrer, ich war prädestiniert als Lehrer! So 2 Jahre da und dann son … (unverständlich) Ich werd sowieso noch Erziehungsminister.
    I: Das wird meine Kollegin schon.
    M: Das geht nich.
    I: Doch!
    S: Wenn du Erziehungsminister wirst, dann werd ich Verteidigungsminister.
    I: Ja, was würdst’n dann machen?
    S: Die janzen Waffen selber nehmen …
    M: Das Erziehungsministerium sprengen …
    S: mal durch den Wald laufen …
    I: Durch den Wald laufen?
    S: Ja, ’n kleines Waldspiel machen.
    M: Ja, er is ja ehemaliges Hoffmann-Mitglied.
    I: Die Bäume abknallen …
    S: Ja. Bäume. Ja … und am besten die Atombomben drauf, da is ’n Zeitzünder … alle durcheinander … Fetzen: das das Ding hochgeht …
    S: … und irgendwann gehn wir dann weg, wenn wir Glück haben, komm’n wir weg … Da ich ja keine Waffen anpacken darf, muß ich die Waffen immer verschenken, hm, wir freuen uns schon …

    Beispiel, für »Verarschen«, um den anderen zum Zusammenbruch zu bringen und den Umstehenden gleichzeitig Grund zum Lachen zu geben:
    S: Wie sieht denn dein Vater aus, hat der auch son paar Haare? (Anspielung auf M.s orangene Haare)
    M: Das is bei uns erblich belastet, ne, ich bin homozygotroterbig.
    … Lachen …
    I: Porös?
    … Lachen … alle reden durcheinander, amüsieren sich
    I: der is auch porös. Der Oberkorper is porös, ne, deiner.
    M: Ja, das is der provozierende Zerfall-Look. Alles zerstören.

    Über einen Dritten wird in dessen Beisein Blödsinn über seine Person zusammenphantasiert. lm weiteren Verlauf des Gesprächs greift der das Thema aber selbst auf und versucht nun, uns zu »verarschen«.
    M: Ich mein, das is so, ne, bei ihm kommt noch dazu, er hatte ne schwere Kindheit …
    I: Schwere Kindheit?
    M: Wir kennen uns schon ziemlich lange so, …
    I: Erzähl du mal seine Geschichte, du kannst das bestimmt herzergreifend …
    M: Ja, ich möchte da echt nichts sagen, was ihn vielleicht belasten würde, weil, er hat echt riesige Probleme (Stimme geht über in Lachen) mit seinem Elternhaus …
    Gebrabbel …
    M: Ja, ich weiß, daß dir das peinlich is, wenn ich das sage, der Vater Säufer, ne,
    I: Vater Säufer, Mutter Prostituierte …
    M: Nee, ganz so schlimm nicht, (lacht) aber, aber ja, sitzt den ganzen Tag vorm Fernseher …
    I: Was findst’n daran lustig, wenn einer ’n kaputtes Elternhaus hat? Jetzt mal davon abgesehen, ob das wahr is oder nicht?
    M lacht vor sich hin …
    I: Ich würd sogar behaupten, irgendwo hat ja jeder ’n zerrüttetes Elternhaus.
    U: Ich hab kein zerrüttetes Elternhaus!
    M: Nein, ich meine …
    U: … wir einigen uns darauf, nich mehr über unser Elternhaus zu reden…
    M: Ja gut, ich werde dein zerrüttetes Elternhaus nicht mehr erwähnen…
    X: Aber dein Bruder, das is ’n Arsch …
    U: Der hat doch gar kein Bruder …
    M: Ja eben, das hab ich eben schon erwähnt, daß ich Einzelkind bin …
    X: Was fürn Kind?
    M: Ja, egoistisch, egozentrisch, gierig …
    I: Und du hast kein zerrüttetes Elternhaus?
    U: Nee, ich auch nich!
    I: Weiß ich doch!
    M: Er streitet das immer gerne ab, ne, …
    U: sone Scheiße eh, keiner redet mit mir, nur sone Scheiße, eh
    M: Da darf man ihn nicht drauf ansprechen, das is ihm peinlich …
    I: U, eh, also du bist der U.
    I: Ja. lch bin 20 Jahre, geschieden und hab zwei uneheliche Kinder.
    Alle lachen.
    U: Aber kein zerrüttetes Elternhaus.
    T: … das wird eine Niete … mäp …
    Lachen.
    I: Und deine Kinder haben ein zerrüttetes Elternhaus …
    M: Nein, also, er liebt seine Frau, er ist auch ein guter Vater, immer gewesen…
    I: Ein guter Vater, hm. Und womit ernährst du deine Kinder?
    U., M.: Mit Bier.
    I: Und womit verdienst du dir das Bier?
    M: Durch die Frau.
    U: Durch Arbeit. lm Moment …
    M: Rausschmeißer bei Philips.
    Lachen.
    T: Er hat nämlich sein Abitur schon abgeschlossen, er mochte …
    U: Danke, daß du für mich geredet hast.
    M: Bitte. (allgemeines Lachen)

  4. Einen besonders großen Anteil am Verhaltensrepertoire der Punks hat die exzessive Hingabe, die die vorgeschriebene emotionale Balance zerstört, indem bestimmte Handlungsbereiche beherrschend sind: Hierzu gehört das Musikhören und ganz besonders das »Nichts-tun«, das sich in Rumalbern, »Scheißmachen«, verbalem Anpöbeln zeigt. Ganz drastisch ins andere Extrem gehen die Beispiele, in denen Punks den ganzen Abend in einer Ecke vor sich hinstarren und sich in Bewegungslosigkeit üben. 2 Extreme des »Nichtstun« stehen sich gegenüber, der Drang, Spaß zu haben und »rumzualbern« überwiegt aber eindeutig.

    M: Vor allem, auch wenn ich jetzt hier irgendwie vom Blitz getroffen würde oder so oder tot umfallen würde, war mir auch egal, weil ich mir sag, ich leb immer so, daß ich den meisten Spaß dabei hab. Wenn ich kann, reis ich durch die Gegend und guck mir alles mögliche an, mach dies, mach das, irgendwie viel Abwechslung drin und wenn ich irgendwann mal abkratz, dann hab ich, kann ich sagen, du hast gut gelebt, ne, nicht wie einige andere Leute, bei denen ich immer den Eindruck hab, die wollen zwar irgendwas anderes machen, aber bringen es irgendwo nich…

    Zum Musik hören:
    M: … Das war für mich jetzt, guck ma, das is eben meine Sache, daß ich Stonesfan bin. Meiner Meinung nach ein ziemlich großer Stonesfan, wa, einer der größten, den ich in Aachen kenne, aber weißte, verstehste, für mich kommt es nicht auf die Musik an, ich hör ziemlich viel Musik, ich hör teilweise auch Reggae, New Wave …

    Zum Spaß haben:
    U: lch bin vielleicht vom Aussehen anders, aber so vom Leben und so, immer Spaß haben und so, da bin ich genau gleich wie die auch …
    I: Also Spaß haben ist für euch unheimlich wichtig? Was ist denn zum Beispiel für dich Spaß haben, …
    U: lch hab z. B. Spaß, wenn ich ins VC gehe, hab mein Bierchen aufm Tisch, das heißt ja jetzt nicht, daß ich hier jetzt jeden Abend richtig kräftig schlucke, das ist Scheiß, aber mit den Leuten zusammen sein, und Spaß haben und eben Scheiße bauen, nicht so hier auf die Straße gehen und die Leute dumm anmachen, so wie dat immer heißt, und inner Volkszeitung steht, die Punks am Markt machen alte Omas an und so, dat sind wieder die paar Ausnahmen, dat sind die Beschmierten, die kommen wat weiß ich, aus Hintertupfingen und müssen jetzt hier ihre Schau abziehen, so wat finde ich auch bescheuert, aber Spaß machen, das find ich, immer machen wozu ich im Moment Lust hab, mal wegfahren …

    Rumhängen, rumhocken:
    I: Warum gehst du z. B. hier ins VC? R: Ja, erst mal weil hier lange auf ist, ich komm auch abends ab und zu hier hin, da hocke ich nur hier rum, ich mein, ich hocke ja jetzt auch nur hier rum.· Da rede ich genauso mit anderen Leuten, so wie jetzt mit dir auch. Von hier aus gehe ich meistens noch in die B., die haben einen guten Kicker da stehen, da gehen wir immer Kicker spielen.
    Und wenn wir dann keine Kohle mehr haben, dann hängen wir uns irgendwo in den Supermarkt, oder an den Frischdienst.

    Die nach außen gekehrte souveräne Haltung Erwachsener soll so provoziert werden, so daß sie ihr wahres Gesicht zeigen und sich durch ihre Reaktion unglaubwürdig, in diesem Falle lächerlich machen.

    I: Als ihr das so aus Spaß gemacht habt, (als Punk herumlaufen) da habt ihr doch schon gemerkt, wie die Leute reagiert haben.
    R: Ja, sicher, da haben wir gelacht. Aber nachher … ich habe mich sowieso schon immer darüber aufgeregt, wenn Leute sich die Mäuler zerrissen haben über andere Leute, nur in der Zeit, als ich so angefangen hab anders rumzulaufen, da hab ich mich dann so da reingefressen, daß ich gar nicht mehr anders rumlaufen wollte, obwohl ich den größten Arger zu Hause hatte. · Einen wahnsinnigen Arger mit dem Haarefärben und nachher hatte sich meine Mutter daran gewohnt, man kann sich an alles gewöhnen. Zum Beispiel in Herzogenrath, wo ich da gewohnt hab, das ist ja ein Städtchen, so ein kleines, da ist ja bald alles zusammengebrochen, da wär ich am liebsten mitten auf der Straße gegangen, damit sich die Leute die Augen auskickten, die meinen zwar, ich mach mich lächerlich, in Wirklichkeit machen sie sich selber lächerlich in meinen Augen und für die Leute, die so ungefähr denken wie ich …

    Die Lust am Spaß haben durch Veralbern und Verarschen ist aber nicht nur ein oberflächliches Vergnügen, sondern gleichzeitig eine Form der Erkenntnistätigkeit.14

    Die Reflexion der persönlichen Situation und der Umgebung findet auf einer materialistischen und praktischen Ebene statt. Es ist eine handfeste Form der Verarbeitung persönlicher Erlebnisse.
    Das wohl drastischste Beispiel eines Verstoßes gegen die allgemein anerkannte Ästhetik ist das Verhalten der Mädchen: Ihr Mäusekult steht im krassen Widerspruch zum herkömmlichen Geschmack. Er kann unter zwei Aspekten gesehen werden. Mäuse sind ekelig und verabscheuungswürdig, ihr Anblick ruft oft bei Frauen hysterisches Kreischen aus. Die in den bürgerlichen Lebenszusammenhängen manifestierten Werte werden negiert und umgekehrt.
    »Ekelige« Tiere werden zu Schmuseobjekten und wirken auf den beobachtenden Durchschnittsbürger wie ein Anschlag auf seinen selten in Frage gestellten Emotionsbereich.
    Der Mäusekult verhöhnt gleichzeitig die Erwartungen, die an mädchenhaftes Verhalten gestellt werden.
    »Die jungen Mädchen nehmen sich- das hat in der weiblichen Pubertät eine ehrwürdige Tradition und wurde von der Jugendforschung wiederholt bemerkt- das Recht auf männliche Anteile: ungebärdige Wildheit, laut, schnell, aufmüpfig. Sie spielen femme fatale – auf jung und proletarisch. Der expressive Punkerstil gibt Mädchen, die mutig sind, genügend Gelegenheit, solche Seiten ihrer Personlichkeit auszuagieren.«15

Lebensanschauungen von Aachener Punks

Die den Punks allgemein zugesprochene Lebensauffassung des »no-future« trifft auf die Aachener nur begrenzt zu. Die soziale Situation der eher proletarischen Punks impliziert die Einstellung des no-future, da sie ohne Arbeit und ohne Hoffnung auf einen neuen Job in psychische Verelendung verfallen. Ein ganz drastisches Beispiel bietet dafür ein 15-16jähriges Paar, das schon von vornherein keine Erwartung an ihr Leben stellt. Sie haben ihr Elternhaus verlassen, gehen nicht zur Schule, haben keine Arbeit und leben nur von einem Tag zum anderen. Nur das »Hier und Jetzt« ist entscheidend und wichtig, an den nächsten Tag zu denken lohnt sich nicht.
Auf die Bohemepunks trifft die Plakatierung »no-future« schon deshalb nicht zu, da sie durch Schule, Lehre oder Studium ihre Zukunft sichern. Sie sind auch jetzt schon durch ihre Eltern sozial so abgesichert, daß sie zumindest von ihrer finanziellen Lage her für sich »no-future« nicht beanspruchen konnen. Alle Punks machen sich weitgehend Gedanken über die politische Lage und setzen sich mit aktuellen wichtigen politischen Themen auseinander. Die Erkenntnis der Realität und ihre Verarbeitung führt sie letztlich zu einer negativen Zukunftserwartung.
Persönliches Engagement wird als zwecklos angesehen, alles mündet in totale Resignation.

I: Hm. Ja und die Inhalte jetzt, grad bei dem Atomkraft nein danke. Stehste dazu oder findste das … (Autolärm)
M: Ja, ich mein, ich persönlich halte auch nich viel von Atomkraft, aber wenn ich mir ansehe, daß, daß hier in Holland und direkt an der DDR-Grenze die Dinger stehen, wa, wenn die hochgehen, daß die uns dann genauso schaden können als ob bei uns eins steht. Da könn’n die auch bei uns eins hinbauen. Is doch scheißegal.
I: Ja, meinste denn nich, daß man die eher verhindern sollte, wo die so gefährlich sind.
M: Ja, das bringt doch nix, wenn du die hier in Deutschland verhinderst, da geht in der DDR oder in Holland irgendwo eins los … Gut, dann haben wir keine und müssen uns damit rumschlagen, wie jetzt die Scheiße nach hierher kommt. Ich mein, im Grunde is mir dat ziemlich gleichgültig, ob die jetzt so’n Ding da hinsetzten oder nich.
I: Also du mochtest deinen Kindern eine gute Zukunft bieten?
U: Ich werde nie Kinder in die Welt setzen. Nöö – nie. Das kann ich mit meinem Gewissen nich vereinbaren.
I: Warum denn nich?
U: … weil das Scheißleben immer scheißiger wird, immer schlechter, ne, und da gibts nix dran zu rütteln. Egal, was man noch anstrengt und unternimmt, egal was es is, egal was für Gruppierungen auftreten, die eventuell, eventuell ne vernünftige Basis bieten, würden, aber im Endeffekt sind das immer wieder Gruppierungen in den Gruppierungen jetzt, Machtgefühl …

Vor allem die Bohemepunks haben sich über ihre Identität als Punk Gedanken gemacht und sich bewußt für diesen Stil entschieden.

»Punk erklärt den alten Zeichen den Krieg. Wie keine andere Subkultur zuvor, haben die Punks mit Stilen provoziert. Punk hatte und hat keine Botschaften, die sich in konkrete Ziele oder politische Aussagen fassen lassen; die Hauptsache liegt in dem confrontation dress.«

Staatsverdrossenheit und Resignation lassen kein konkretes Engagement zu, die Ziele der Punks sind deshalb Provokation und Konfrontation. Besonders deutlich wurde diese Haltung bei denen, die von den sogenannten »Müslis« oder »Muselmanen« zu den Punks wechselten.
Nach Auseinandersetzung mit den Zielen der »Müslis« lehnten sie deren Lebenseinstellung bewußt ab und wurden ebenso bewußt Punk.

I: Ja, haste denn früher auch schon andere Moden so mitgemacht oder is jetzt so das erste Mal, daß es dich so voll packt?
M: Was heißt so voll packt? Sagen wir mal so, das ist das erste, was mir gefällt.
I: Aha.
M: Ich könnt ja auch kröllig rumlaufen oder in Discoklamotten und so, aber dafür sind mir die Leute zu hohl, das gefallt mir auch nicht.
S: oder so hier: peace peace peace, Blumen bewerft euch mit Blumen … oh …
X: einen auf Musel …
I: Müsliman?
S: Müslifresser –
I: Da gibts ja auch sehr viele in Aachen, Müslis.
M: War ich früher auch mal.
I: Ehrlich?
M: Oh forget it
S: Die fressen Tang … aus dem Kaufhaus …
I: Was habt ihr da gemacht?
M: Na, ich mein, ich war nich so voll Müsli, ne …
I: Was hast du denn da gemacht?
M: Da hab ich festgestellt, daß die Leute so stupide sind, so dumm, so so – ich weiß nich, ne, … die labern nur Scheiße. Die Leute sind vollkommen intolerant, tun zwar dicke ‚ah, sind wir liberal, sind wir tolerant, sind wir dies, sind wir das, aber trotzdem, im Grunde zählt nur, wenn de so lange Haare hast, Haare bis auf ’n Boden, ne, und am besten noch son »Atomkraft Nein Danke-Batch«, da biste voll drin.
I: Is das denn so, daß du dich auch mit den Inhalten nich identifizieren kannst, so »Atomkraft Nein Danke«? Das is ja nun wirklich ’n gravierendes Problem, ne.
M: Wat heißt mit den Inhalten, ne. Man kann dat so oder so machen. Mal ’ne Fahrraddemo und immer nur »Frieden Frieden« bringt nix.
I: Was fehlt dir denn da?
M: Ich weiß es nich, meiner Meinung nach labern die Leute einfach nur.
I: Also action fehlt dir.
M: ja genau …
I: Sind die für dich nicht überzeugend?
M: Nee.
I: und wie kommt ihr so damit zurecht?
K: ja, erst lief ich ganz anders rum, so als Musel, so lange Hemden und so … und das fanden meine Eltern auch nich gut. Und dann bin ich halt mit den Punks zusammengekommen und da war ich so mit den zusammen, und babe mich dann auch so angezogen …

Punk kam in der BRD schon als domestizierter Stil an, und wurde zunehmend noch mehr zurückgenommen. Das zeigt ganz deutlich die Bereitschaft, Zugeständnisse an bürgerliche Normen zu machen. Ein wohnungssuchender Punk z. B. wechselte kurzfristig seine Punkkleidung in Jeans und ordentliches Hemd um.

Zusammenfassung:

Punk ist der auffallendste öffentlich gelebte subkulturelle Stil. Seine provozierende Wirkung beruht auf gängigem bürgerlich-ästhetischem Empfinden widerwärtigen Frisuren, Kleidungsstücken und Accessoires in »unmöglichen« Farben und Kombinationen sowie dem öffentlich gezeigten Verhalten, das im wesentlichen aus »Nichtstun« bzw. Stilbrüchen und Regelverletzungen des bürgerlichen Alltagsverhaltens besteht.
Ein einheitliches Selbstverständnis des Punkseins gibt es nicht. Vielmehr reicht das Spektrum von eher boheme-orientierten Jugendlichen, die Punk als »bricolage«, »Living-Art«, als Kunstwerk betreiben und sich auch als Künstler verstehen bis hin zu Punks, die Punk als Konsumstil leben. Schichtenspezifisch läßt sich dies nicht festmachen.
Die ursprünglich auf die englischen Punks zutreffenden Verelendungsmerkmale treffen auf die Aachener Punks nicht zu, lediglich der Begriff »no future« als Ausdruck ihres Kulturpessimismus und ihrer Staatsverdrossenheit bleibt stehen.
Es zeichnet sich ab, daß

  • zur Aachener Punkscene im wesentlichen Jugendliche mit Berufsaussichten gehören,
  • »no future« als Lebensgefühl im o. a. Sinne als »Hier- und Jetzt-Philosophie« gelebt wird,
  • die Arbeit an der eigenen Identität, das »Basteln« an Körper und Philosophien (Bricolage), am sichtbarsten und »radikalsten« geleistet wird; viele Punks haben schon mehrere Lebensstile ausprobiert und schließen nicht aus, einen wieder neuen zu finden,
  • Punk als unisex-Stil Mädchen wie Jungs die Gelegenheit bietet, sich schon rein äußerlich von der zugewiesenen konventionellen Geschlechtsrolle zu distanzieren, darüber hinaus dürfen Punkmädchen »wild und pervers« sein, männliche Punks dürfen Weltschmerz und Gefühle ausdrücken.

Einschränkend müssen wir jedoch bemerken, daß es sich bei den o. a. Punks nur um den sichtbaren und für uns ansprechbaren Teil handelt; es gibt eine kleine, sich im Hintergrund haltende Gruppe, auf die andere Lebensbedingungen zutreffen. Zudem mischen sich – zumindest im Sommer – Teile von jugendlichen Trebegängern unter die auf öffentlichen Platzen »nichtstuenden« Punks.


1 Jugend ’81. Lebensentwürfe, Alltagskulturen, Zukunftsbilder Bd. 1, Opladen 82. Hrsg. von der Deutschen Shell (im folgenden abgekürzt Shell-Studie) S. 537.

2 Zitat aus unseren Interviews.

3 und 4 Zitate aus den Interviews, vgl. auch Kapitel Jugendkneipen – ein Vergleich.

5 Eine Kneipe in Aachen.

6 Vgl. Brake, a.a.O., S. 93 ff.

7 Vgl. dazu auch Shell-Studie, S. 555.

8 Es sei denn, in persönlichen Gesprächen mit den Interviewerinnen.

9 Last Exit, S. 223.

10 Last Exit, S. 224.

11 Vgl. Shell-Studie, S. 533 ff.

12 Shell-Studie, S. 558.

13 Vgl. Shell-Studie, S. 559.

14 Vgl. Hartwig, S. 123.

15 Shell-Studie, S. 548.

Einblicke

5 Kommentare »

  1. Vortrefflicher Fund! Frage mich allerdings, ob die auf der letzten Seite des PDF abgedruckte Anzeige eine bezahlte Werbung in der Publikation war oder eine Illustration zur im Artikel angesprochenen Kommerzialisieung der Punk-Mode. Exploited-T-Shirt 29 Mark?

    Kommentar von Bübbes Kehr — 12. August 2013 @ 3:33 pm

    • Das war keine bezahlte Werbung – wäre auch untypisch für eine akademische Publikation -, sondern in der Tat eine Illustration der Kommerzialisierung von Punk.

      Kommentar von Dieter Antonio Schinzel — 12. August 2013 @ 3:56 pm

  2. […] geht’s mit unserer Ausgrabung der soziologischen Einblicke in Aachener Jugend- und Subkulturen anno ’82/83 von Peinhard-Franke & Kolleg/inn/en. Im […]

    Pingback von Einblicke, Folge 2: Aachener “Jugendkneipen” ’82/83 | Aachener Untergrund Kultur — 24. Dezember 2013 @ 5:33 pm

  3. […] tiefer werden die soziologischen Einblicke in die Punk- und Wave-bewegten Aachener Jugendkulturen der Frühachtziger. Von den Punks am […]

    Pingback von Einblicke, Folge 3: Die “Rotationsgruppe” mit den Fanzinemachern von “The Domestos” | Aachener Untergrund Kultur — 25. Dezember 2013 @ 3:15 am

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