Buchstäblich in den Untergrund führt einer der wenigen Kinofilme, die in Aachen spielen: Sündige Grenze aus dem Jahr 1951. Er handelt von Kinder- und Jugendbanden beim Kaffeeschmuggel im Dreiländereck. Schmuggeln war so lukrativ, dass große Teile der Stadtbevölkerung mitmischten, und so gefährlich, dass im Showdown von Zöllnern und Schmugglern von 1945 bis 1953 mehr als dreißig Menschen ums Leben kamen.
Zeitungsartikel darüber lieferten den Filmstoff für den Berliner Filmproduzenten Artur Brauner (dessen Karriere passenderweise im Schwarzmarkthandel der Nachkriegszeit begonnen hatte) und seinen Regisseur Robert A. Stemmle (der in der Weimarer Republik an der sozialistischen Volksbühne gearbeitet hatte, im Dritten Reich Propagandafilme drehte und in der Bundesrepublik seine Karriere mit Schlager- und Karl-May-Filmen ausklingen ließ). Stilistisch bedient sich ihr Film beim italienischen Neorealismus von Regisseuren wie Vittoria de Sica (Fahrraddiebe, 1948). Zudem bietet er, gemessen an der Prüderie seiner Zeit, solide B-Movie-Schauwerte wie Halbnacktheit und außereheliche Affären. Letztlich bleibt er aber „Opas Kino“, mit Dieter Borsche als weißem Ritter, der eine verdorbene Unschuld auf die rechte Bahn zurückbringt, während ihr krimineller Verführer unter Polizeikugeln sein verdientes Ende findet.
Zwischendurch findet die Bande noch Zeit, ausgelassen zu musizieren und zu tanzen, und zwar Bebop (Tonspur) zu Rock’n’Roll (Bild):
Weitere Hintergrundinformationen zum Film und seiner Entstehungsgeschichte liefert dieser Spiegel-Artikel aus dem Jahr 1951:
„Die sozialen Verhältnisse so darzustellen, wie sie im Aachener Revier wirklich sind, hat sich Stemmle versagt. Sein Film hätte dann vor der Zensur nicht bestehen können. Es gab Rabatzer, die ihre Komparsen-Gagen im Strumpf versteckten, weil die Mutter das Geld regelmäßig vertrank. Es kamen Jungens, die ihre Eltern beim Jugendamt angezeigt hatten, ‚damit sie uns von unserem Geld endlich einen neuen Anzug kaufen‘. […]
Im Grenzgebiet hatte [der Aufnahmeleiter] sich der Aufgabe, echte Aachener Kinder für den Film anzuheuern, entledigt, indem er in berüchtigte Gegenden ging und Jugendliche, die ihm verdächtig erschienen, mit der Bitte um weitere Propaganda ansprach. Die Rabatzhorde, die am nächsten Morgen vor dem CCC-Standort, dem Hotel Hindenburg, auftauchte, schien echt zu sein. Alle erreichbaren Blumentöpfe, Türklinken und Autolampen waren in kürzester Frist lädiert.
Auch auf dem Filmgelände am Bergcafé benahmen sich die Rabatzer äußerst natürlich. Sie gingen mit steingefüllten Säcken aufeinander los, um sich die Köpfe einzuschlagen. Die älteren Kolonnenführer, die für Disziplin sorgen sollten, nahmen ihre Aufgabe so ernst, daß bald ein Sanitäter in Aktion treten mußte, der dann für die Aachener Drehzeit fest engagiert wurde und laufend zu tun hatte.
Wenn sie des Prügelns oder Schmuggelns müde waren, schwärmten die Rabatzer mit dem Schrei ‚Jon mer schwellen‘ (= klauen) in die nachbarlichen Felder aus. […]
Wenn Stemmle anfänglich befürchtet hatte, sein Drehbuch wäre stellenweise zu sensationell, so verflüchtigte sich dieser Eindruck sofort, als ihm die Rabatzer aus ihrer Praxis erzählten. ‚Was Sie hier drehen, ist gar nichts“, sagten sie enttäuscht'“.
Die „Rabatz-Bande“, wie sie im Film heißt, gab es also tatsächlich unter diesem Namen.
Wehmuts-Tropfen: Da die Innenaufnahmen des Films nicht in Aachen, sondern in Brauners Berliner CCC-Studios gedreht wurden, kann man davon ausgehen, dass sich die Tanzszene nicht in einem Aachener Untergrund-Club abspielt, sondern in einer Spandauer Studiokulisse. (Wenige Jahre danach sollten die Tanzlokale mit Live-Musik verschwinden und die in Aachen erfundenen Diskotheken sie ersetzen.) Obwohl sich das Drehbuch redlich um Lokalkolorit bemüht – mit Figuren, die „Marianne Mertens“ heißen, sowie dem Katholizismus als visuellem und dramaturgischen Leitmotiv -, scheint die Tonspur des Films komplett im Synchronstudio entstanden zu sein und sprechen alle Schauspieler berlinisch gefärbtes Hochdeutsch.
Dabei gab es zu jener Zeit in den Fünfzigern und Sechzigern auch aussage- und schlagkräftige Truppen von Öcher Jugendbanden, die dem Anspruch „Rabatz“ machen zu können, alle Ehre gemacht hätten als Darsteller in dem Film.
Zum Beispiel die „Westpark United Bande“ aus dem Westpark und die „Wild Dogs“, die in der Gaststätte Troika in der Franzstraße 21-23 „residierte“.
In Aachens Innenstadt fiel die Rocker-Gang „Wild Dogs“ binnen 24 Stunden zweimal über Polizisten her und drosch mit Kuhketten auf die Beamten ein.
Was braucht ein Regisseur in Berlin, was er nicht auch in Aachen hätte finden können???
Kommentar von Peer van Daalen — 3. April 2018 @ 6:44 am
yeh kuhl … anfang 80er hab ich noch einen der „kaffeepanzerfahrer“ getroffen, war zu zeiten der hausbesetzungen. leider ist der name weg. der damals aeltere herr 😉 hat mir/uns erzaehlt wie die autos gepanzert wurden und wie es dann von vaals die vaalser strasse hoch ging, und wie das fahrgefühl so war.
Kommentar von tom — 3. April 2018 @ 12:03 pm
Auf verbotenen Pfaden – Kaffeeschmuggel in der Nachkriegszeit (Doku)
„vive la frontier“ 😉
Kommentar von tom — 3. April 2018 @ 12:54 pm