Aachener Untergrund Kultur

21. Oktober 2022

Die letzte Nacht im Club Voltaire

Anstatt im nächsten Jahr das 40-jährige Jubiläum zu feiern, schloß der letzte überlebende Club der Aachener HIV-Tour am letzten Samstag scheinbar für immer seine Pforten. Anbei ein paar kurze Schnappschüsse des Abends – passend zum Zustand, in dem man den Club normalerweise aufsuchte, etwas verwackelt und verschwommen.

12. September 2021

Yana verzweifelt gesucht

Filed under: Aachen in den 70ern, Aachener Kneipen, Uncategorized — Hank E. Wire @ 11:14 am
Ein nostalgischer, aus desolater Seelentiefe gewonnener Rückblick auf die musikalisch tonangebenden Kneipen der frühen 70er, KITSCH und NULL. Long read aber LEBENSWICHTIG!!!

Abbildung 1: Die unvergleichliche Yana, 1972 in der Gaststätte NULL.
(Vom Autor drei Jahre später in einem Malkurs der PH-Aachen, aus dem Gedächtnis gezeichnet.)



In den frühen 70ern gab es vor allem ein vordringliches Problem: Was studieren – und vor allem, wo? 

Gegen Aachen sprach eigentlich alles: Dass mein älterer Bruder hier bereits Physik studierte, die notgeilen Horden von Maschinenbaustudenten mit dem Musikgeschmack lobotomisierter Dreijähriger, die nervige Präsenz von Pferden, Karneval und Kaiser. 

Für die Stadt sprach eigentlich nur meine verklärte Erinnerung an das Pop-Festival in der Soers. Allein schon dessen hochqualitatives nächtliches Filmprogramm übertraf bei weitem die damals inflationär aus jedem Rübenacker schießenden Pop Festivals. 

Ohne die allgegenwärtigen Mungo Jerry (backenbartdominierte Stimmungskapelle) und die  Keef Hartley Band* (ethnografisch fragwürdiger Proleten-Stampf) ging es leider auch in Aachen nicht, aber alles andere: die Location, die Atmo, das LSD und nicht zuletzt die epochale kontinentaleuropäische Uraufführung von Pink Floyds „Atom Heart Mother“ brachten Aachen näher an das unerreichte Vorbild der „Essener Songtage“ von 1968 heran, als die übrigen Epigonen in weitaus größeren Städten. 

Düsseldorf, meine Heimatsstadt, von der aus ich eine Basis für meine akademische Bildungsreise suchte, blamierte sich 1970 mit ihrem kackfrech als „Woodstock am Rhein“ annoncierten sog. „Joint Meeting“ (Stimmungshöhepunkt: „Keef Hartley Band“), dessen ranschmeißerischer Falschgeld-Moderator bei JEDER EINZELNEN seiner Ansagen von der Bühne gebuht wurde.

Das sog. „Europop“-Festival in der Soers schon mal auf der Habenseite, fielen die Würfel endgültig für Aachen, als wir mit DOM einen Gig im Malteserkeller hatten. Die Aura dieses Gewölbes war vorzüglich und die musikalische Kompetenz des bis in die billigen Plätze fachmännisch bewusstseinserweiterten Publikums beachtlich. 

Ok, Aachen also. Listiger Weise hatte ich mir als Ort für die institutionelle Vollendung meines geistigen Feinschliffs, Aachens einzige Location mit deutlichem Frauenüberschuss ausgewählt: Die damals noch existierende Pädagogische Hochschule oder wie wir damals zärtlich sagten: die PH.

Dank des vorteilhaften Frauenüberschuss, schien es mir aussichtsreich und durchaus im Bereich des Möglichen, die ein oder andere Kommilitonin mit Hilfe meiner ohne Unterhemd getragene Latzhose und meines Keef Hartley-Bartes zu einem Hausbesuch meiner Studentenbude zu überzeugen. 

Ob und wie erfolgreich diese Unternehmung war, will ich hier genießerisch verschweigen, aber selbst im positiven Fall wäre das Ergebnis nutzlos und schal geblieben, weil die EINE, die unbestrittene Gebieterin meines Herzens weiterhin unsichtbar, unerkannt und unerreichbar blieb.

Kommen wir nun also zum herzzerreißenden Teil meiner Geschichte, kommen wir zu Yana.

Im Swinging Düsseldorf der 60er/70er Jahre bis aufs Äußerste verwöhnt von legendären Highlights der Gastrokultur: Creamcheese, Ratinger Hof und Domino (dortige Starkellnerin, die heute weltberühmte Fotografin, Katharina Sieverding**, in leopardengemustertem Stetson und dazu passendem Bikini-Zweiteiler), erwies sich meine anfängliche Befürchtung, in Aachen eine derart elaborierte Gastronomie nicht vorzufinden, unbegründet.

Neben dem Aachener Vorzeigeobjekt, dem bereits erwähnten Malteserkeller, gab es die beiden magnetischen Zentralgestirne lasterhafter Lebensweise, der Drogensucht und des exzellenten Musikgeschmacks, das KITSCH und die/das NULL.

Exakt an der Stelle wo sich heute in der Krakaustraße das Last Exit und die aus unerfindlichen Gründen existierende, „Galerie“  Blauer Ezel befinden, traf sich 1972 alles, was Soft Machine und Beefheart hörte und ausgewählte Shitsorten*** törnte.

Wenn ich mich recht erinnere, befand sich im heutigen Last Exit das bzw. die NULL (die jahrzehntelange Inkarnation dieser Location als sog. „Omas Schnapshaus“ lasse ich hier selbstverständlich unerwähnt). Das KITSCH wiederum befand sich schräg gegenüber, wo dieser Blaue Ezel heute seine überflüssige Existenz fristet.

Das KITSCH war im damals tonangebenden Räucherstäbchen-brennen-Löcher-in-bunte-Seidentücher Stil einer Opiumhöhle eingerichtet. Sowohl das Hasch als auch die Musikauswahl waren besser als die ebenfalls beachtliche  Qualität beider Surrogate im NULL. Aber das KITSCH war eine Portion desolater, verrufener, Seemannsgrabmäßiger als das  NULL [Wissenschaftliche Randbemerkung: Hier wäre es vielleicht langsam Zeit, die Frage zu klären, ob es historisch richtiger wäre, der NULL oder dem NULL zu sprechen.]

Wie auch immer,  schnell wurde das KITSCH zu meinem Laden, weil da nicht nur Velvet Underground und die Mothers sowieso, sondern auch Captain Beefheart lief – und zwar eben nicht „I‘m gona Boogerlize you Baby“ (der einzige Song des Captains, der so etwas wie einem Hit relativ nahe kam), sondern the real thing aus „Trout Mask Replica“.

IN kühner Vorwegnahme des erst Jahre später erfundenen New Wave Stils war das/die NULL kühler, ganz in Schwarz gehalten. Die Musik war, wenn auch nicht so kompromisslos Underground wie im KITSCH, mit King Crimson, Pink Floyd, Colloseum und, na ja, Emerson Lake und Palmer, gut genug.

Der große Pluspunkt des/der NULL war, da es/sie besser besucht war und daher die Anwesenheit von Klassefrauen, die keine Lust hatten, ihre wertvollen Pheromone zu Beefhearts notgeilen „Dachau Blues“-Dissonanzen im KITSCH zu verplempern, eher wahrscheinlich war.

Behutsam aber unausbleiblich, erreichen wir endlich – Ihr ahnt es schon, liebe Aachener Untergrundkultur Leser*innen – das eigentliche Thema dieser auf ein tragisches Gestern fokussierten Betrachtungen: Meine Herzenskönigin Yana!

Wie ein Botticelli-Engel saß dieses rätselhafte Wesen an der Bar, das zauberhafte Stirnband wie angegossen festgezurrt wippte sie vergnügt zur Musik (dazu später mehr) und blickte, als ich eintrat – war es Zufall? war es Fügung? – genau in meine Richtung und dachte nicht daran, ihren Blick abzuwenden. 

Zu meinem großen Glück trug ich meine Topless-Latzhose ohne Unterhemd (es war mitten im Sommer 72) und fühlte mich geschützt und attraktiv, sonst hätte ich nie gewagt, diese Loreley auf dem Barhocker anzusprechen: „Du scheinst ja einen furchtlosen Musikgeschmack zu haben“, entfuhr es, auf ihr mungteres Wippen anspielend, dem einem Fremden, der meinen Kehlkopf bestzt hatte. „Oooch, ich konnte Dave Dee, Dozy, Beaky, Mick & Tich schon als Teenie gut ab“, drang es wie Sirenengesang in mein Ohr. 

Hier muss ich eine visionäre Eigenschaft der NULL-DJs ergänzend erwähnen: Nicht nur hatte dieser Virtuose die unterkühlt, postmoderne Weltsicht des New Wave um mindestens 6-7 Jahre vorausgeahnt, sondern teilte auch dessen humorvolles Faible für musikalischen Trash, also für die unfreiwillig komischen Hervorbringungen minderwertiger Bands von vorvorgestern, deren weit unter dem eigenen musikalischen Niveau stehenden Bemühungen, man gerne für drei Minuten amüsiert verfolgte.

Nicht so Yana! Das Feuer in ihren Augen, die schlangengleiche Laszivität ihres elastischen, hocherotischen Sitztanzes, ließen darauf schließen, dass sie den Song „Hold Tight“ merklich genoss, OHNE dafür ironische Distanz zu benötigen.

Blitzschnell rechnete ich nach: Diese Venus der Krakauer Straße war schätzungsweise 20-21, „Hold Tight“ erschien 1964, da war sie ca. 14, also im besten Alter um auf diese abgehalfterten Pop-Päderasten ohne ironische Distanz abzufahren. Trotzdem wurde ich misstrauisch, konnte aber, während ich ihren Fuß keine Sekunde lang aus den Augen ließ, erleichtert feststellen, dass sie auch zu einer weit anspruchsvolleren Komposition, meinem damaligen Lieblingsstück von King Crimson, „The Devil’s Triangle“ ebenso temperamentvoll mitwippte. 

Auch wenn ich einen Funken weniger Enthusiasmus in ihren Moves erkennen zu können glaubte, beschloss ich, dies nicht ihrer musikalischen Inkompetenz, sondern der nachlassenden Schärfe meiner Beobachtungsgabe anzulasten – denn ich hing bereits wie eine Fliege an der Honigfalle. Nicht nur erklärte sie sich anstandslos bereit, draußen im Abendsonnenschein „einen durchzuziehen“, sondern verwickelte mich – mein Lieblingsthema! – in ein musikalisches Fachgespräch über die historischen Gemeinsamkeiten und Unterschiede von „Dave Dee, Dozy“, Beaky, Mick & Tich“ und der zeitgleich aktiven Blödelband „Casey Jones & the Governors“ („Don‘t Haha“). Die spielerische Leichtigkeit, mit der sie meinen Einwand widerlegte, der eine der Dave Dee-Musiker hieße gar nicht Mick, sondern Mitch, war in seiner elaborierten Eleganz schon beeindruckend, wurde aber weit übertroffen von ihrer geradezu halsbrecherischen Performance, mit der sie, ohne abzulesen, die Nachnahmen von Dozy, Beaky, Mick (Mitch?) und Tich fehlerlos vortrage konnte.

O Selige, Frohe, Helle, Unaufhaltsame Seele! Wir plauderten, lachten und flüsterten und vergaßen Raum und Zeit um uns herum – ich bekam sogar nicht mal mehr mit als mein geliebtes „Yoo Doo Right“ von Can seinen hypnotischen Bannstrahl aus den Lautsprechern des/der NULL auf uns richtete. 

Unser Gespräch wurde nach der musiktheoretischen Ouvertüre immer privater. Bald eröffnete sie mir, sie käme aus Kassel um ab Oktober Textilgestaltung auf der Aachener PH zu studieren. In meinem Kopf sprang eine Rechenmaschine an: Der Ablauf meiner nächsten vier Lebensjahre kristallisierte sich vor meinem inneren Auge zu einem . Mein Entschluss stand fest: Auch ich würde auf der PH studieren (Germanistik und Kunstgeschichte), würde den durchgenommenen Goethe-Gedichten oder der Betrachtung eines Meisterwerks von Tizian nachsinnend, die Eindrücke und Empfindungen mit Yana teilen und vergnügt mit ihr ein preiswertes und gesundes Mittagsmahl in der Mensa genießen. Danach würden wir etwas unternehmen: eine Fahrradtour, ein Museumsbesuch oder bowlen. Die Möglichkeiten grenzten ans Unendliche, aber welche Rolle spielten schon Möglichkeiten? Die Hauptsache war doch: ewig dein… ewig mein… ewig uns!

Zum Abschied rief sie mir noch zu: „Nimm meine Seele auf und trinke sie…“ und dann… jahrzehntelang… NICHTS!

Sechs Wochen lang pendelte ich wie ein Junkie Nacht für Nacht zwischen KITSCH und NULL hin und her – dieser verdammte Captain Beefheart hing mir bald schon sowas zum Hals raus.

Dann endlich der große Tag! Die heiß ersehnte Stunde Null! Tabula Rasa! Ground Zero: Feierliche Begrüßung der Erstsemester in der Aula der PH durch den Dekan. Wieder nichts. Alle Expeditionen in den Textilgestaltungs-Flur (und es waren EINIGE: Ergebnislos! 

Plötzlich war ich schon im dritten Semester, dann im sechsten… aber nirgendwo Yana.

Nie hätte ich gedacht, wie bitter sich eine der tiefsinnigsten mir bekannten Weisheiten über amourösen Angelegenheiten bewahrheiten würde: „Liebe ist eine Komposition, bei der die Pausen genauso wichtig sind wie die Musik“ verlautbarte einst die Sphinx von Wien,  Senta Berger. Aber diese Pause dauerte jetzt schon Jahrzehnte und es ist kein Ende abzusehen!

Dieser Artikel ist meine letzte Hoffnung!!! Yana!!! Wenn du das liest, melde dich bei Karl oder Allo Pach, sie haben meine Adresse!!!

Auch ihr, liebe „Aachener Untergrundkultur“-Leser*innen!!! Bitte informiert mich umgehend, wenn ihr die Person auf einem der Bilder wiedererkennen solltet!!!

Abbildung 2: Die Aufnahme aus dem Darknet zeigt möglicherweise Yana auf einer Swingerparty, 2018, in Burtscheid.

Das erste Bild (Abbildung 1) habe ich 1975 aus dem Gedächtnis von unserer Begegnung im NULL 1972 gezeichnet. Das zweite (Abbildung 2) stammt aus dem Darknet. Mein russischer Gewährsmann, den ich eigentlich beauftragt hatte, das Personenverzeichnis der Kasseler und Aachener Einwohnermeldeämter auszuwerten, versicherte mir „bei seiner Ehre“ dass dieser Zufallsfund aus einem Senioren-Swingerclub in Burtscheid, mit „an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit“ Yana zeige, deren vollständiger, wie er herausgefunden zu haben glaubte, bulgarischstämmiger Name, übrigens Yana Yolanda Matratzki laute.

Yana, bitte melde dich – es ist noch nicht zu spät !!! !!! !!! !!! !!! !!! !!! !!! !!! !!! !!! !!! !!! !!! !!! !!! !!! !!! !!! !!! !!! !!! !!! !!! !!! !!! !!! !!! !!! !!! !!! !!! !!! !!! !!! !!! !!! !!! !!! !!! !!! !!! !!! !!! !!! !!! !!! !!! !!! !!! !!! !!! !!! !!! !!! !!! !!! !!! !!! !!! !!! !!! !!! !!! !!! !!! !!! !!! !!! !!! !!! !!! !!!

Ich habe dir so unendlich viel zu sagen! Und außerdem weiß ich jetzt mit ABSOLUTER SICHERHEIT: dieser Pop-Clown aus der Dave Dee-Band hieß doch Mitch und nicht Mick.

Hank E. Wire

* Glaube, hier einer erinnerungstechnischen Fehlleistung unterlegen zu sein und die Keef Hartey- mit der Edgar Broughton Band verwechselt zu haben. Nach der ganzen Schreibarbeit ist es mir jetzt zu anstrengend, das sauber zu recherchieren. Egal, mich nervten jedenfalls beide.

** Sieverdings arrogantem Killerblick entging kein illegal unter dem Tisch den Besitzer wechselndes Piece und schon gar keine ebenda stattfindende, von ihrer Person inspirierte Erektion.

*** Zumindest für den aus Düsseldorf zugereisten Konsumenten war der grenznah importierte Shit des KITSCH von geradezu sensationeller Qualität.

12. Januar 2018

Best of Au Hurgebiet am 20. Januar!

Nach 5 Ausgaben in der Raststätte ist es mal an der Zeit, ein Best Of unserer semi-beliebten Veranstaltung mit merkwürdigen historischen Aachener Videodokumenten zu präsentieren. Dies geschieht im Rahmen der sehr empfehlenswerten Ausstellung BIER & WIR im Centre Charlemagne am Katschhof, und zwar am 20. Januar ab 19 Uhr. Wer die Veranstaltungen – oder auch nur eine davon – bislang verpasst hat, bekommt hier die Gelegenheit, versäumtes nachzuholen. Und Bier zu trinken.

6. November 2016

Au Hurgebiet V am 26. November!

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Hurra, unsere Filmveranstaltung findet nun bereits zum 5.Mal statt! Auch in dieser Ausgabe haben wir wieder seltenes und bizarres Videomaterial zusammengetragen, von historisch bis hysterisch. Zu den beiden Stamm-Kommentatoren werden sich am 26.11. auch wieder einige Überraschungsgäste gesellen, wie immer in der heimeligen Raststätte.

15. Juli 2014

Malteserkeller Flyer 1977

Auftakt zur Beitragsserie von Malteserkeller Flyern, es beginnt mit dem Jahr 1977:

2. 1977 am 10. 3. OCEAN

Mit Grönemeyer…

3. 1977 am 10. 3. OCEAN

4. 1977 am 13.12. Kleinkunst

5. 1977 am 13.12. Kleinkunst

Dank an Tano für die freundliche Zuwendung!

 

24. Dezember 2013

Einblicke, Folge 2: Aachener „Jugendkneipen“ ’82/83

Einblicke - Buchcover

Weiter geht’s mit unserer Ausgrabung der soziologischen Einblicke in Aachener Jugend- und Subkulturen anno ’82/83 von Peinhardt-Franke & Kolleg/inn/en. Im folgenden Kapitel (Buchseiten 87-104) geht’s um Aachener „Jugendkneipen“ der damaligen Zeit. In der als „VC“ abgekürzten Kneipe begegnen wir den Punks wieder, die den Autoren schon früher zugesetzt hatten.

Frage an unsere Leser: Wer hilft uns, die Codes der genannten Lokale zu entschlüsseln? Vorläufig tippen wir auf:

  • „Ra“ = Ratskeller? Charly’s Reichsapfel
  • „RF, ehemals V.“ = Raumfrisch, ehemals Vanilla
  • „Ri“ = Ritz
  • „U.“ = UKW
  • „VC“ = ?

Es folgt das vollständige Kapitel, unverändert bis auf unsere stillschweigenden Korrekturen von „Steve Marley“ zu Steve Harley sowie des penetrant wiederholten Rechtschreibfehlers „intergriert“. Auch ein Scan der Buchseiten kann heruntergeladen werden.

Jugendkneipen — ein Vergleich1

Carmelita Lindemann, Wolfgang Malter‚ Ingrid Peinhardt, Luc Walpot

Aachen ist eine Kneipenstadt, es gibt kaum einen Erwachsenen, der nicht eine Kneipe seines Geschmacks hier findet. Diese bunte Vielfalt spiegelt sich auch in Jugendkneipen wider. Exemplarisch haben wir einige herausgegriffen, Beobachtungen und Interviews gemacht.

Wir haben dabei festgestellt, daß neben der "Kneipe als Lebensqualität" die Kneipe für Jugendliche noch eine ganz andere Funktion hat: nämlich die, überhaupt einen sozialen Ort zur Verfügung zu haben, der als Kommunikationsstätte, Infotreff, Freiraum jenseits der Kontrolle von Eltern, Pädagogen, Chefs etc. sowie als "Laufsteg", als "Bühne" für die neueste Kreation der eigenen Persönlichkeit dient. Zudem bietet die Kneipe die Möglichkeit, mit dem anderen Geschlecht in Kontakt zu kommen. Dies gilt für alle Jugendkneipen, so unterschiedlich sie von ihrer Ausstattung, ihrem Wirt, ihrem Publikum, ihrer Musik, ihrer Atmosphäre etc. sind. Kneipen bieten die Möglichkeit, subkulturelle Verhaltensstile auszutesten, Intensität zu erleben (Personality-Show, Musik, Alkohol/Kommunikation), sich über die Nutzung von Medien (Musik, Fernsehen/Video) und Elektronikspielen, in manchen Kneipen auch Tanzen, zu entstressen.

Jugendkneipen sind wie subkulturelle Stile/Freizeitstile Moden unterworfen. Dieser Wandel schlägt sich nieder in der Ausstattung — manche Kneipen werden stilmäßig jedes halbe Jahr gewandelt — und im Publikumswechsel, der häufig abrupt und schwerlich ergründbar ist. Plötzlich ist die Kneipe nicht mehr "in".

Jugendkneipen als Ausdruck subkultureller Stilvielfalt

Jugendkneipen kennzeichnet ein jugendliches Publikum — altersmäßig. Sonst nichts. Denn so breit wie die Palette der Stile, auch der nur versteckt angedeuteten oder arg verflachten, so breit ist auch die Palette der Kneipen. Aktuelle Musik wird überall gehört, Spielgeräte und Videos gibt es fast überall. Gymnasiasten, Studenten, Azubis, Jungfacharbeiter, arbeitslose Jugendliche gibt es fast überall. Was also ist los in den Kneipen und was unterscheidet sie voneinander?

Das U2 z. B., in der Aachener Innenstadt gelegen, erinnert eher an eine Metzgerei denn an eine Kneipe. Kühl gekachelt bis unter die Decke, helle Neonröhren: hier bleibt nichts verborgen, verstecken, verkriechen kann sich hier keiner. Hinter der langen schmalen Theke stehen zurechtgemachte "Bedienungen", cool und perfekt wie Schaufensterpuppen. Die neue coolness. Jango Edwards nennt sie "coolarity". Die Besucher sind ebenso perfekt gestylt wie die Damen hinter der Theke, so wie sie hinter ihren mit Orangen und Zitronen gefüllten Aquarien schweigen, schweigen die Besucher über ihren Mixgetränken in knalligen Farben. Die Mädchen im Stil der 50er Jahre — teils mit Pferdeschwänzen, Petticoats, Cocktailkleidern, Lidstrich und Haarspray, Pfennigabsätze. Die Jungs als Kavaliere, gut erzogene Söhne. Die coolness färbt ab, gelacht wird hier nicht; die große personality-show, die Vorführung perfekter Stile, ist nicht lustig.

Z.: Im U, da stehst du immer an ner Bühne, im U, da ist es sehen und gesehen werden …3

Ab und zu tauchen Punks hier auf, sie bringen etwas Leben mit. Aber sie bleiben unter sich und hören die gleiche Musik wie die Stammgäste: ganz einfach englische Charts. Manchmal findet ein Konzert statt: Trio z. B. war hier, als die Gruppe noch ein Geheimtip war, oder Blurt (Avantgarde Jazz-Punk aus London). Dann wird die Kneipe voll mit Besuchern, die ebenfalls einen Stil pflegen — einen modischen, versteht sich — und Musikern der so zahlreichen Aachener Jazz- und Rockbands. Die Elite, die Snobs treffen sich hier.

['Einblicke', S. 101]

[‚Einblicke‘, S. 101]

Raumfrisch 2

„Diese Kneipe heißt Raumfrisch, weil solche Sachen den Raum frisch machen.“ [‚Einblicke‘, S. 101]

Das RF, ehemals V, ebenfalls in der Innenstadt gelegen, hat eine lange Tradition für "ausgeflippte" Jugendliche. Ehemals ganz in weißem Plastik gehalten, steriler als eine Eisdiele, mit Video und Milchmixgetränken, zog sein buntes, auffallendes Publikum (Schüler, Studenten, Azubis, Arbeitslose) überwiegend nach 1 Uhr nachts an. Dann, wenn "normale" Kneipen schließen und die Bürger nach Hause gehen, fängt der "Flip" erst richtig an. Bananashake oder Kakao in weißen Tassen, an die weiße Wand gelehnt oder sitzend in weißen Gartenstühlchen, wurde auf die Mattscheibe gestarrt: "Dschungelbuch" von Walt Disney war der beliebteste Film.

Heute, als RF, ist die Kneipe in Pastelltönen gestrichen wie Küchenmöbel der 50er Jahre. Rosa, hellblau und ein helles Gelb sind dominant und verteilt über Decken, Wände, Möbel — originale alte Küchenmöbel, kleine Regale, Gläser, Lampen, die Küchengeräte für die Mixgetränke, die Dekoration an den Wänden: alles original 50er Jahre.

An der Theke, wie überall in den Kneipen, stehen Angehörige von Bands, ca. 18 bis 25 Jahre alt. Sie trinken um 23 Uhr hauptsächlich Kaffee mit Cognac oder Milchgetränke — weniger Bier. Die beiden Jungens hinter der Theke sind schmal, kurzhaarig, vom Stil her "sportlich-avantgardistisch", auffällig bebrillt (wie die letzte Brille von John Lennon), freundlich und kommunikativ. Blicke werden ausgetauscht, Gespräche, Lachen. Die Musiker sind ähnlich kommunikativ. Passend zur Einrichtung läuft tatsächlich eine Platte von Peter Kraus.

An kleinen Tischen entlang des Schaufensters sitzen die Punks in kleinen Grüppchen eng beisammen. Sie haben hier eine neue Bleibe gefunden für ein paar Wochen. Die Musik stört sie nicht. Später läuft eine Platte von David Bowie, sie wird gebührend besprochen. Im Hinterzimmer, das gut einsehbar ist, steht ein Tischkicker. Keiner kickert.

Das CD sieht aus wie eine Garage, an deren Wänden Spielautomaten und Flipper dicht bei dicht aufgestellt sind. Alles ist schwarz gestrichen, drei kleine Tische mit Stühlchen gegenüber der kahlen Theke. Dahinter ein müde aussehender, schwarz gekleideter Mensch. Er ist allein in der Kneipe, bis kurz nach 1. Dann finden sich hier lederbejackte, angepunkte oder sonstwie stilpflegende Jungs ein, Mädchen sind in dieser Kneipe noch weniger als sonst, jetzt beginnen die Flipper und Spielautomaten zu rattern – beim Bier. Eine Mischform zwischen Kneipe und Disco stellt das Ri dar, es ist gemacht wie eine Grotte. Auch hier viele Musiker an der Theke, Schüler und Azubis finden es hier "schick". Ab und zu spielt eine lokale Rockband hier. Das Publikum ist apathisch beim Konzert einer englischen Spitzenband (Classix Nouveaux). Der Diskjockey fordert das Publikum auf, doch zu applaudieren, wenn es eine Zugabe hören wolle.

Z.: das Ri, das ist aber auch schlecht geworden …

Integrationsstilkneipen

AUSVERKAUFT

Aachen. (til) — Der "Rockpalast" in Euchen zählt zur Zeit wohl zu den größten und schönsten Live-Läden der Republik. Im Gegensatz zu manch anderen, vergleichbaren Läden, bei denen man nicht selten das Gefühl hat, in einer Wartehalle zu stehen. Fast alle Konzerte waren bisher "Ausverkauft". Unter anderen gastierten Nena, Zeltinger und "Extrabreit" im "Rockpalast". Das "Odeon" in Alsdorf hat im Übrigen auch wieder geöffnet. (city 1/83)

['Einblicke', S. 102]

[‚Einblicke‘, S. 102]

"...einer der größten und schönsten live-Läden der Republik" ['Einblicke', S. 102]

„…einer der größten und schönsten live-Läden der Republik“ [‚Einblicke‘, S. 102]

Seit einigen Monaten gibt es den Rockpalast in Euchen (Würselen-Euchen bei Aachen). Der Rockpalast, eine ehemalige Landgaststätte mit einer Kapazität von ca. 1200 Personen ist derzeit die Attraktion weit über den Aachener Raum hinaus mit Bühne, Riesentanzfläche, Lightshow etc. Dunkelblau gestrichen wie ein Aquarium, fensterlos mit roten Kronleuchtern und Stühlen hat er den touch des Selbstgemachten — "bricolage" auch hier Element der Gestaltung. Der Einzugsbereich der "Stammgäste" reicht bis zu ca. 60 km, allein die Aachener müssen schon 10 km zurücklegen. Hier trifft sich alles, was an Veranstaltungen mit aktuellen Bands teilhaben will: Jugendliche aus der Eifel, Studenten aus Aachen, Schüler, Lehrlinge, Jungarbeiter, Musiker und Künstler aus allen umliegenden Städten und Dörfern, dazu ebenso heterogenes Publikum aus dem nahen Belgien und den Niederlanden. Das Alter der Rockpalastbesucher reicht von ca. 14 bis 40 Jahren. Hier findet sich — ähnlich wie im VC — das völlig unproblematische Miteinander verschiedener subkultureller Stile. Vielleicht deshalb, weil sie hier alle im gleichen Konsum/Kommerzzusammenhang stehen? Der Wirt dieser Kneipe ist bereits 70 Jahre alt und steht jeden Abend "im Trubel". Er hat auf Empfehlung seiner Kinder den Rockpalast aufgemacht — sie haben die Marktlücke im Aachener Raum gesehen.

Das Spuugh (sprich: schpüch) in Vaals hat ähnlich integrierenden Charakter über ähnlich gelagerte Angebote.

SPUUGH!

Aachen. (til) — Etwa einen Kilometer hinter der Grenze liegt auf holländischer Seite in Vaals der Jugendclub "I.T.C. Spuugh". In dem Jugendclub, der ca. 600 Leute faßt, werden auch in diesem Jahr zahlreiche Rockveranstaltungen über die Bühne gehen. "Brainbox" und Hermann Brood, der immer noch zu den besten Live Acts aus Holland gehört, bestritten im ausverkauften "Spuugh" die beiden Eröffnungsveranstaltungen dieses Jahres. In den nächsten Monaten kommen u. a. "Doe Maar", "Dead Kennedy" "Staff" und Jango Edwards in den Club. Die Preise in diesem Laden sind übrigens einsame Spitze. Geringe Eintrittsgelder, Bier und Cola (u. a.) für 1,10 Gulden, ein halbes Baguette, gut belegt, kostet gerade 2,25 Gulden. Auf ins "Spuugh": Tel. 0031/44543457. (City 1/83)

Der Rockpalast hat die erfolgreiche Nachfolge des ehemaligen Odeon in Alsdorf (Bergbaustadt bei Aachen) angetreten, das im gleichen Einzugsbereich lag.

Odeon Alsdorf

Immer, wenn geöffnet ist

Sehr wahrscheinlich wird – nach einem guten halben Jahr Bestehen – das ‚Odeon‘ in Alsdorf (siehe KLENKES 12/81) in seiner bisherigen Form schließen müssen. wegen mangelndem Lärmschutz. Für die Jugendlichen dort geht damit eine wichtige Kommunikationsstätte verloren,

Roland Temme, Mitbesitzer des ‚Odeon‘ und Manfred und Guido, zwei Stammgäste berichten.

Roland Temme: Für Alsdorf ist das Odeon ein Kulturzentrum insofern, als es sonst nichts dort gibt, wo Live-Auftritte stattfinden. Das Odeon spricht Leute an, für die das nächste vergleichbare vielleicht der ‚Dschungel‘ (Discothek in Richterich) ist. Das Publikum ist ziemlich gemischt, von Punkern über Otto Normalverbraucher, Freaks Flippis. Die meisten Leute sind so zwischen 18 und 25, wenige darunter. Eigentlich wollte ich nur ’nen Musikclub aufmachen, wo Bands spielen können, der Raum hier in Alsdorf hat sich so ergeben. da habe ich erst gemerkt, wie wichtig so eine Einrichtung gerade für Jugendliche im EBV-Einzugsbereich ist, Wegen dein mangelndem Lärmschutz durften jetzt keine Live-Auftritte mehr stattfinden — es war echt laut oft — nur Disco, und das ist natürlich für die Jugendlichen wie für mich völlig uninteressant.

Manfred und Guido, beide 19 Jahre alt. Stammgäste im Odeon. Manfred arbeitet als Maschinenschlosser bei EBV, Guido ist BAS-Schüler. Beide stammen aus Siersdorf.

Klenkes: Wie häufig geht ihr ins Odeon?

M: Immer wenn’s geöffnet ist, im Moment sind das so 3-4 Male in der Woche, früher täglich.

K: Warum geht ihr gerade ins Odeon?

M: Da gibts gute Musik.

G: Relativ gute Musik, würde ich sagen, bis auf den Punk. Punk ist mir zu blöd.

K: Was läuft denn so?

G: Cola trinken, andere Leute treffen, was planen, tanzen.

M: Wir treffen Cliquen. Ganz unterschiedliche Leute kommen da zusammen: Schüler, Arbeitslose, Frührentner, Azubis…

K: Wo liegt der Unterschied zu anderen Kneipen?

G: Im Odeon ist keine Disco-Atmosphäre. Es gibt Auftritte von Gruppen, wie sonst nur in Aachen oder Stolberg.

M: Und es sind auch meistens keine Studenten da. Die machen so lahme Atmosphäre. Im Dschungel ist das so.

G: So richtige Stimmung kommt allerdings erst so gegen 12 (nachts) auf.

K: Sind viele Mädchen im Odeon?

G: Nach 10 Uhr sind das mehr Jungen. Vorher sind die Mädchen in kleinen Grüppchen da, sitzen rum, versperren einem die Sicht.

M: … wenn die action losgeht, so um 12, dann sind nur noch wenige Mädchen da mit ihren Typ.

K: Wohin geht ihr, wenn das Odeon zumacht?

M: Dann müssen wir uns wieder was Neues suchen und wieder sehr weit fahren. Von Siersdorf zum Odeon sind es 6km hin und zurück, zum Dschungel, wo wir vorher oft waren, 30!

KLENKES 4/82

Die Kneipe als Kommunikationszentrum

Die Kneipe VC liegt ebenfalls in der Aachener Innenstadt. Sie besteht aus einem schmalen, langgezogenen Raum, die Wände einfach und dunkel holzvertäfelt. Vorne, direkt gegenüber der Tür, die Theke, schummerig beleuchtet. Im hinteren Teil des Raumes ein großer langer Tisch mit Stühlen, in der Ecke noch eine kleine Sitzgelegenheit. Auch hier nur schwache Beleuchtung. Ein Flipper und ein Spielautomat fallen wegen ihrer Buntheit gleich auf, ebenfalls auffällig in dem Dunkel ist das fast ständig laufende Video. S.‚ der Wirt, dreißig Jahre alt, ist Gitarrist einer Band und "verkrachte Existenz". Er trägt als einziger in der Kneipe sein Haar als "Mähne". Er integriert die verschiedenen subkulturellen Stile, die in seiner Kneipe zusammenkommen. Regelmäßig, manche jeden Abend, sind da: die Punks als größte Gruppe, eine Motorradclique, eine Gruppe von "Avantgarde"-Musikern, eine Gruppe von Rockmusikern (Freunde des Wirts bzw. Mitglieder seiner Band) sporadisch die Rockergruppe X — alle ca. 17 bis 22 Jahre alt — sowie ein sehr bunt gemischtes Spätpublikum aller Altersgruppen und Leute aus der unmittelbaren Nachbarschaft.

Alle Kneipenbesucher außer den Punks sind eher proletarische Jugendliche, zum größten Teil in der Ausbildung, kurz nach der Ausbildung oder arbeitslos. Die auffallendste der genannten Gruppen sind die Punks,4 die sich in der Kneipe sehr frei bewegten: sie gingen rein und raus, immer unter Gejohle und Gelächter, lümmelten sich auf dem Bürgersteig, kamen durch das geöffnete Fenster wieder rein und gingen so auch wieder raus, Völlig ungehindert durch den Wirt oder sonst jemand. Die "Avantgarde"-Musiker stehen — wie in anderen subkulturellen Kneipen auch – an der Theke. Sie sind blasiert, arrogant und reden nur leise unter sich in der Kleingruppe.

Die Rockmusiker spielen gerne mit und ohne Wirt an den Spielgeräten. Sie sind auch sonst lebhafter als die "Avantgarde"-Musiker und flachsen rum. Die Motorradclique verhält sich ähnlich wie die Punks: genauso albern und laut.

Zwischen beiden Gruppen besteht ein reger Austausch: sie kennen sich gut und haben sich viel zu sagen.

Die Rockergruppe X verhält sich sehr zurückhaltend, wenn sie überhaupt erscheint. Das Spätpublikum ist ebenfalls an der Gestaltung der Atmosphäre nicht beteiligt.

I.: Was gefällt dir an der Kneipe so gut?

R. aus der Motorradclique: Gefällt??? Ja, daß ich mich hier … ja nicht, ehrlich nichts.

I.: Ja, wenn dir hier nichts gefällt, dann gehst du hierhin wegen der Leute?

R.: Nee, wieso, die haben doch sowieso einen Dachschaden.

I.: Auch die hier … (zeigt auf die Umstehenden) …?

R.: Nee, nee, äh… . der S. (Wirt) nicht … Der ist in Ordnung, bis daß in dem Bier seine Haare sind, ab und zu mal… (Gelächter)

Nee, ich fühl mich lieber da wohl, wo ich an der Theke pennen kann als in so einer Jägermeisterkneipe.

I.: Was für eine Kneipe‘?

R.: Jägermeisterkneipe!

… Gelächter

I.: Was ist denn das für eine?

X.: Wo nur Theken-Opas rumhängen, uähh.

I.: Da gibt es so eine neue Kneipe, die heißt Ra‚ die müßtet ihr doch eigentlich auch kennen … die müßte doch dem entsprechen, was ihr gesagt habt.

Durcheinander: Wo denn? Am Markt? Ach dieses dumme Ding da …

R.: Ach da, ich wollte mich da mal echt eine Stunde vorstellen, das ist nämlich besser als im Kino5 da … Ich hab mal ’n paar Leute rauskommen und reingehen sehen … zur Zeit habe ich keinen Bock mehr …

Musik

Musikgebrauch spielt im VC eine sehr große Rolle. Das Publikum — d. h. die Angehörigen der Gruppen Punks, Rocker, Rockmusiker — legt sich im wesentlichen seine Platten selbst auf – die Auswahlmöglichkeiten sind groß. Viele unterschiedliche Stile und Interpreten werden gleichberechtigt gehört. Oft werden auch Cassetten gespielt, die einzelne mitbringen. Fast allabendlich wurde S.‚ der Wirt, mit bestimmten Musikwünschen geärgert, z. B. mit dem Ruf "Motörhead"! — die Rocker wollten Motörhead hören. Diese Musik ist für die sensiblen Ohren des Wirts Krach.

Solch ein Provokationsversuch sollte den Toleranzspielraum testen, den S. insbesondere den Punks und den Rockern einräumte. S. verhielt sich jedoch so geschickt, daß er sein Image nicht verlor (vgl. subkulturelle Verhaltensspielregeln).

Kurz und gut: es ging zu wie in einem gut funktionierenden Kommunikationszentrum. Angesichts des "Sprengpotentials" des Publikums kann man hier durchaus von Sozialarbeit am Tresen sprechen.

Fernsehen / Video

Parallel zu der gespielten Musik war der Fernsehapparat ständig eingeschaltet. Gezeigt wurden in der Regel Musiksendungen, d. h. Videobänder mit Aufzeichnungen des Rockpalasts u. ä. sowie eigene sessions, also durchweg Filme, die aus dem Erfahrungsbereich der Jugendlichen selbst stammten. Manchmal schaltete S. eine Fernsehsendung ein, drehte den O-Ton ab und ließ eine Platte dazu laufen. Die Effekte bereiteten allen viel Spaß.

Ähnlich "verarbeitet" werden neuerdings gezeigte Eastern—Kung Fu-Filme: das Publikum spielt einfach mit!

Eine Kneipe im Detail:

Ebenfalls eine Jugendkneipe und doch völlig unterschiedlich ist das Ra, eine Kellerkneipe direkt am Markt im Zentrum Aachens. Im Frühjahr 82 — als unsere Arbeit begann — neu aufgemacht, im Stil der Neuen-Deutschen-Welle. Giftig—grün-gelb in Plastikfolie diagonal gestreifte Wände, grüne und gelbe plastikbezogene Barhocker, die Theke in dem kleinen Raum rechteckig rundumschließend in der Mitte. Ein schmaler Gang ringsum, grüne Neonröhren als Beleuchtung, viel aluverkleidetes Gitter von der Decke — Sand auf dem Boden als einziges "natürliches" Element in der Kneipe. Die Räumlichkeiten vermitteln also auch wie die anderen Kneipen keine "Gemütlichkeit". Zwei elektronische Spielgeräte stehen dem Publikum zur Verfügung. Die Musik ist gemäß dem Stil der Kneipe Neue-Deutsche-Welle. Das Publikum ist ein bißchen jünger als in den anderen, so ab 16-jährige sind hier. Das Anfangspublikum ist tatsächlich die vom Wirt angepeilte Zielgruppe: finanzkräftige junge Leute, die auf Neue Deutsche Welle "stehen" und gern in eine kleine, exklusive Kneipe mit exklusiven Getränken gehen. H., der Wirt: "Der Trend geht weg von Alt und Kölsch." Das Ra als eine Art Anlaufstelle mitten in der Stadt, wo man sich auf ein Guinness trifft und von dort in den weiteren Nachmittag oder Abend startet.

Mit diesem Konzept zeigte sich in den ersten Wochen ein gewisser Achtungserfolg. Doch das Zielpublikum blieb zunehmend aus. Es wurde leerer. Um die Kneipe wieder zu füllen, schaffte der Wirt ein Videogerät an, mit dem er allabendlich um 23 Uhr einen Kinofilm des Genres Horror/Abenteuer/ Krimi u. ä. zeigt.

Die Zusammensetzung der Gäste änderte sich schlagartig mit dem neuen Angebot. Es waren nun gegenüber früher Schülern und Angestellten hauptsächlich Azubis, Berufsschüler und Facharbeiter, die auf der Suche nach (für sie) neuen Kneipen zufällig auch ins Ra gerieten. Sie, ca. 18-22 Jahre alt, kommen in kleinen Cliquen oder treffen sich hier. Rein äußerlich pflegen sie keinen besonderen Stil. Videogucken und Spielen an den Geräten sind zentrale Aktivitäten.

Video

F.: Was meint ihr, warum die meisten Leute sich hier zu später Stunde Thriller, Zombiefilme und Actionfilme anschauen?

Wi.: Die erleben das doch auch. Geh mal Samstag abends ins "Roxie"‚6 da kriegste das alles live mit.

Die meisten kommen nur, um sich die Filme hier anzuschauen. Wir würden auch lieber "Tom und Jerry" oder "Donald Duck" sehen!

Wi.: Die wollen eben sowas sehen. Vielleicht weil sie es tagsüber auch erleben.

F.: Und was treibt euch sonst noch um viertel vor elf ins "Rad"?

D.: Die Leute hier. Die meisten kennen sich untereinander, und dann kommen noch die dazu, die nur mal kurz reinschauen wollen und dann wieder gehn. Unsre Gruppe trifft sich hier einfach, um zu quatschen. Wenn ich abends von Arbeit und Schule hierhinkomme, weiß ich immer: jetzt sitzt der und der da.

F.: Und daß gleich das Video anfängt und dann die ganze schöne Unterhaltung hier zum Teufel ist ist, stört dich nicht?

Wi.: Die meisten Leute kommen ja doch ‘nur einzig wegen dem Video. Ne viertel Stunde vor Beginn ist der Laden brechend voll, und wenn der Film aus ist, können die Jungs hinterm Tresen gar nicht schnell genug kassieren, so eilig haben es die Leute. Wenn das Video nicht wär, ging dem H. (Wirt) viel Geld durch die Lappen.

F.: Aber Fernsehen und Filme anschauen können die Leute doch auch zu Hause, oder? Dazu müssen sie nicht extra hierhin kommen?

Wi.: Die wollen das aber zusammen machen. Bier trinken und zusammen sitzen können sie überall.

F.: Weißt du denn, welcher Film heute abend läuft?

P.: Ich glaub, n’ James Bond oder’n anderer Krimi.

F.: Stehst du denn da drauf?

P.: Nee, aber besser als sonstwo rumhängen. Außerdem hab ich noch keine Lust nach Hause.

Spielautomaten

"KILLERAUTOMAT - TEUFELSAUTOMAT?" ['Einblicke', S. 103]

„KILLERAUTOMAT – TEUFELSAUTOMAT?“ [‚Einblicke‘, S. 103]

"'... an manchen Tagen, da komm ich einfach nicht vom Spiel weg...'" ['Einblicke', S. 103]

„‚… an manchen Tagen, da komm ich einfach nicht vom Spiel weg…'“ [‚Einblicke‘, S. 103]

F.: Scheint dich ja richtig zu faszinieren, dieser Apparat (Wi. starrt gebannt auf den Bildschirm eines der beiden Spielroboter, spielt aber nicht).

Wi.: (zuckt mit den Schultern) Manchmal schon.

F.: Also mir wär da das Geld zu schade!

Wi.: An manchen Abenden werf ich da 15 Mark rein.

F.: Ist das denn die einzige Möglichkeit, deine Zeit hier zu verbringen?

Wi.: Manchmal mein ich, das Ding wär Magie.

F.: Es zieht dich wohl magisch an. Ist es mehr die Elektronik oder das Spiel, was dich so fasziniert?

Wi.: Kann ich dir echt nicht sagen, an manchen Tagen, da komm ich einfach nicht von dem Spiel weg; da sag ich zu meinem Freund: Werner, hau mir eins kräftig auf die Finger, wenn ich’s wieder mal nicht lassen kann (grinst) …

F.: Was muß man denn da eigentlich so machen?

A.: Tja, die kleinen Käfer müssen die Früchte essen. Dafür gibt’s Punkte. Später kommen die großen Krabben. Dann wird’s erst richtig schwierig.

F. : Geht wahnsinnig schnell bei dir, spielst wohl oft an dem Gerät?!

A.: Vor vier Wochen hab ich das Ding hier zum ersten Mal entdeckt. Seitdem spiel ich, oder besser wir, fast jeden Abend.

F.: … mit wachsender Begeisterung offensichtlich?!

A.: Irgendwie kommt man von dem Ding nicht los. Jedes Mal, wenn ich rein komm, nehm ich mir vor: diesmal machst du’n großen Bogen um die Kiste, und wenn ich dann später wieder rausgehe, hab ich meistens 5 Märker und mehr dringelassen.

F.: Na, auf die Dauer ein teurer Spaß, was?

Achselzucken, das Gespräch ist aufgrund des "Eifers im Gefecht" eine Weile unterbrochen, dann:

F.: Was meinst du denn selbst, warum der Apparat eine, sagen wir, magische Anziehungskraft auf dich ausübt.

A.: Die Frage hab ich mir, verdammt noch mal, auch schon öfters gestellt. Ich glaub, irgendwie möcht ich mal beweisen, daß ich besser bin, als der Apparat, ein Freispiel gewinne und ne ganze Stunde für eine Mark spielen kann …

F.: Und spielen kann man das nur im ‚Rad‘?

A.: Ne, das gibts noch woanders (nennt den Namen einer Spielhölle).

Abgrenzungen

Insgesamt erwiesen sich die Besucher als nicht sehr gesprächig und mitteilungsbedürftig, die Interessen gelten mehr dem Video und den beiden Spielgeräten und ihrer Clique. Die Gruppe von 8-10 Jungs hat ein ausgeprägtes Wir-Gefühl und grenzt sich von anderen gleichaltrigen stark ab — auch von deren Treffs. Diese Kneipen, insbesondere das VC, sind verpönt, obwohl sonst von einer relativ beschränkten Möglichkeit der Freizeitgestaltung erzählt wird. Die Abgrenzung ist gegenüber den Punks — die man damals in Aachen gar nicht übersehen konnte — am weitreichendsten.

F.: Warum trefft ihr euch denn ausgerechnet hier? Warum zum Beispiel nicht im VC, oder im Apfelbaum oder Leierkasten?

A.: Hier sind nur unsere Leute. Die kennen sich doch alle. Wenn du abends rausgehst, gehste ins "Ra". Jeder weiß von uns: wenn ich einen treffen will, dann kann der nur hier sein.

F.: …und das VC?

A.: is das nicht so’ne Punker-Kneipe?

F.: Und wenn?

A.: Nee danke, wo die Punks verkehren …

F.: Habt ihr was gegen Punks?

A.: Das sind doch alles so Schlägertypen, unheimlich brutal und immer auf Zoff aus, nix für mich …

ich bin auch nicht gerade scharf drauf, welche kennenzulernen. Die haben eben doch ganz andere Ansichten. Mir sind die auch viel zu brutal. Bei jeder Kleinigkeit drohen sie einem: Hey‚ willst wohl die Fresse poliert haben. Da steh’ ich absolut nicht drauf. Ich bin ein sehr friedliebender Mensch. Die sollen mich in Ruhe lassen und ich die.

F.: Und wie steht ihr zu den Punks?

A.: Ich glaub, das sind rein menschlich unheimlich arme Schweine. Wahrscheinlich haben die früher in ihrem Elternhaus zuwenig Liebe und Aufmerksamkeit bekommen, daß die heute so unheimlich brutal geworden sind. Man kann die nicht nur einfach verteufeln, nur weil die bunte Haare haben und anders aussehen wie wir. Früher haben die Leute lange Haare gehabt und alle haben sich aufgeregt, heute färben sie sich ihre Haare. Im Grunde genommen kein großer Unterschied. Die wollen vielleicht auch nur Aufmerksamkeit erregen.

B.: Die haben doch alle ein unheimliches Rad ab. Sich die Haare lila färbenl! Die brauchen sich nicht zu wundern über ihr "no future". Wenn ich Chef wäre, ich würde mir auch kein solches Schreckgespenst anstellen, kann man ja nirgendwo auf Montage schicken. Da fallen die Leute gleich tot um. Die brauchen sich gar nicht zu wundern, wenn sie keine Arbeit kriegen. Die spinnen meiner Meinung nach total. (Zeigt mit dem Finger den berühmtem "Vogel".) Und mit ihrer Brutalität ecken sie auch überall an.

F.: Kontakt habt ihr zu denen aber auch nicht, oder?

C.: Was heißt Kontakt? Man sieht sie ja überall. Geh mal hoch zum Marktplatz, da lungern sie dutzendweise rum.

W.: Wir wollen auch gar keinen Kontakt. Die leben in ihrer Welt und wir in unserer. Das paßt doch auch gar nicht zusammen. Die haben doch total andere Einstellungen als wir!

F.: Ihr sprecht immer von "wir" und "uns". Wieviele seid ihr denn?

D.: So zwischen 8 und 10 Leute, alle mit denselben Interessen. Wir arbeiten alle ungefähr dasselbe, haben dieselben Interessen und verbringen die Wochenenden zusammen.

F.: Immer im "Ra"?

D.: … die Leute hier haben hier fast alle dieselben Einstellungen. Klar sind die auch äußerlich bunt gemischt, aber sie kommen alle miteinander aus. Außerdem können wir immer noch in die Jugendgruppe in unserer Pfarre gehen. Da ist auch immer was los.

F.: Ist euch das denn nicht zu spießig?

D.: Klar, manchmal kapieren die einfach nicht, daß man nur hingeht, um andere Leute zu treffen. Der Kaplan meint, man müsse zwischendrin auch mal beten und meditieren. Das wollen die Leute einfach nicht. Das hat mich unheimlich Mühe gekostet, dem das beizubringen.

F.: Du meinst also, die Kirche wolle mit diesen Jugendtreffs vornehmlich Seelenkauf zukünftiger Kirchgänger betreiben?

D.: Hauptsächlich. Außerdem stellen sie sich wahnsinnig spießig an, wenn es um die Altersgrenze geht. Und das dauernde Meditieren geht den Leuten ganz schön an die Nerven.

F.: Und warum gehen sie sonst wohl hin?

W.: Was willste sonst denn machen? Die meisten Leute haben kein Moos, dauernd in die Kneipe oder in die Disco zu gehen.

Die Bedeutung von Musik ist hier eher untergeordnet. Die Jugendlichen hören, was grad "in" ist. Im Großen und Ganzen sind sie mit ihrem Leben zufrieden, haben zum "Protestieren" keinen Grund und interessieren sich nicht für gesellschaftliche und politische Zusammenhänge.

W.: Die meisten Leute interessieren sich nicht für Politik, weil sie genau wissen: mit meiner Stimme ändere ich überhaupt nichts. Ist doch logisch.

F.: Und eure Einstellung würde sich auch nicht ändern, wenn ihr zum Beispiel arbeitslos wärt?

W.: Das wird doch alles künstlich übertrieben. Die meisten Leute heute sind einfach zu faul zum arbeiten. Die sollen sich erst mal richtig ’n Job suchen gehen. Als ich ne Lehre gesucht hab, da bin ich jeden Morgen hin aufs Arbeitsamt und hab da auch was gekriegt. Is zwar nicht mein Traumberuf, aber wer sich auch richtig Mühe gibt, der kriegt auch’n Job, 100 prozentig!

Der Wirt, im Unterschied zu den bisher skizzierten Kneipen, ist "stillos". Er betreibt die Kneipe als "Job" mit dem Ziel, in einigen Jahren genügend Geld zu verdienen, um sich eine Praxis als Masseur und Bademeister einzurichten. Er verfolgt konsequent seine eigenen ökonomischen Zielsetzungen. Angesichts dessen, daß die Neue-Deutsche-Welle vorbei und das Publikum eh nicht so modisch ist, änderte er den Stil der Kneipe. Ihre Ausstattung entspricht jetzt, im Stil der typischen Bierverlagskneipe mit weißgekalkten Rauhputzwänden und Pferdegeschirren als Dekoration eher dem Geschmack des neuen Publikums.

Gespräch am 3.10.82 im ‚Ra‘ mit G, 17 und N, 17, Klassenkameradinnen der Berufsfachschule für Hauswirtschaft und Ernährung

W.: Und was treibt euch ausgerechnet ins ‚Ra‘?

G.: Och, wir sind erst zum zweiten Mal hier. Wenn ich rausgeh, dann will ich mit Leuten quatschen oder Leute treffen. Die meisten aus unserm Bekanntenkreis, die gehen sowieso dahin, wo auch unter der Woche was los ist. Außerdem können wir hier bis kurz vor 10 bleiben, da brauchen wir nicht lange nach Hause zu gehen. Außerdem hat mir mal einer erzählt, daß hier Sand aufm Fußboden liegt und das hat uns neugierig gemacht.

W.: Aber mit der Dekoration, verbindet ihr damit nichts?

G.: (achselzuckend) die ist mir irgendwie egal, da kann ich echt nichts mit anfangen. Is ’n bißchen bunt, aber warum auch nicht?!

W.: Seid ihr eigentlich mit dem Freizeitangebot in Aachen vollauf zufrieden?

G.: Nee, ist doch nichts los hier!

W.: Was würdet ihr euch denn wünschen?

G.: so’ne Art Teestube, wo man sitzen und klönen könnte, oder mit anderen Leuten Tischspiele machen könnte, sich unterhalten könnte. Am Boxgraben, da gibt’s ja sowas, aber das ist für uns einfach zu weit — wir müssen ja schon um 10 Uhr zu Hause sein!

W.: So strenge Eltern?!

G.: Meine Eltern sind geschieden. Ich wohn seid kleinauf bei meinen Großeltern und die sind unheimlich streng. Früher, da mußte ich schon um 9 Uhr zu Hause sein und wehe, wenns da mal 5 Minuten später wurde …

N.: Bei mir ist es auch nicht viel besser, ich wohn bei meiner Tante und da ist auch um 10 Uhr endgültig Sense.

W.: Da seid ihr ja sozusagen Leidensgenossinnen! Das bindet wahrscheinlich ungemein, teilt ihr auch sonst eure Interessen und Gemeinsamkeiten?

G.: Bis hin zum gemeinsamen Abhauen!! Wir wollten ja eigentlich jetzt in Griechenland sein, war schon alles geplant und wir standen mit Sack und Pack an der Autobahn und da läßt uns dieser Scheiß-Typ gestern morgen einfach sitzen!!

W.: Wie kamt ihr denn auf den Gedanken abzuhauen?

G.: Ich habs einfach zu Hause nicht mehr ausgehalten mit meinen Großeltern, ständig dieses: ‚Tu dies und laß das!‘ Dann die Schule mit dem ganzen Druck und die ganzen Ansprüche, die an einen gestellt werden: Jeden Tag derselbe Trott …

N.: Ich kann mir auch nicht vorstellen, daß das Leben nur aus Arbeit, Familie, Kinderkriegen besteht. Wir wollten das andere Leben einfach mal ausprobieren, einfach weg von hier.

W.: Hattet ihr euch das denn vorher genau überlegt von wegen Leben, Geld?

G.: Drei Tage vorher ist uns erst die Idee gekommen und dann … irgendwie wärs schon weitergegangen. Ich bin aber jetzt echt froh, daß wir nicht gefahren sind. Das war nur ne Knallidee, einfach wegzukommen. Auf Dauer hätten wir damit wahrscheinlich ziemlich Schiffbruch erlitten.

W.: Und jetzt ist wieder alles beim alten?

N.: Na ja, so ganz aufgegeben ist der Gedanke noch nicht. Man kann nie wissen, wenns mir mal wieder so richtig stinkt, dann hau ich eben doch noch in den Sack.

W.: So ganz widerspruchsfrei scheint ihr mir in der Beziehung aber nun doch nicht?! Habt ihr eure Zukunft denn irgendwie konkret geplant?

G.: An sich geplant … na kann man eigentlich nicht sagen, aber ich würd’ ganz gern Rechtsanwaltsgehilfin oder Arzthelferin oder sowas ähnliches werden.

N.: Wenn mit der Schule Sense ist, bemüh ich mich um ’ne Stelle als Krankenschwester. Da hat man wenigstens auch ’n bißchen mit anderen Leuten zu tun. Aber was bis dahin alles kommt … (winkt ab).

W.: Wieso, hast du denn Angst vor der Zukunft?

N.: Direkt Angst, kann man nicht sagen. Ich will nur nicht so angepaßt leben, wie die das alle früher oder später tun. So mit Familie, Kinderkriegen und brav Hausmütterchen spielen . . uahhh … um Gottes willen!!! Kann ich mir einfach nicht vorstellen, daß ich das bringe.

W.: Und was möchtest du ‚bringen‘?

N.: Auf jeden Fall nicht dieses scheiß-Leben.

W.: Was macht ihr denn sonst so, ich meine, wenn ihr nicht gerade hier sitzt?

G.: Och, meistens sitzen wir bei N., hören Musik und spinnen einfach so rum. Oder ich leg mich aufs Bett, höre Musik — aber nur meine ausgesuchten Lieblingsplatten, sonst nichts! — und versuch einfach abzuschalten. Manchmal gehn wir auch in den Park und sitzen stundenlang da auf ’ner Bank. Aber Musik muß einfach immer dabei sein, die find ich unheimlich wichtig. Wenn ich Steve Harley (Cockney Rebel) hör, da bin ich einfach total weg, aber nur die Live-Version. Kennste die. Die kann ich 10 mal hinter’nander hören!!!

W.: Die Platte ist aber schon mindestens 10 Jahre alt.

G.: Das is doch egal!! Darauf kommt’s doch gar nicht an.

W.: Und für neuere Musik interessiert ihr euch nicht, oder fehlt euch ganz einfach die Kohle zum Kaufen?

G.: Mit 100 Mark Taschengeld — da bleibt nicht viel! Klar, wenn ich meiner Mutter nach Berlin schreibe: Mutti, ich hätt‘ gern ’ne neue Jacke oder so, da schickt sie mir den Kies. Aber wenn du Schminke, Kneipe und was sonst noch so anfällt abziehst, da bleibt für Platten selten was übrig. Aber ich find den Harley auch so viel, viel besserl!

W.: Aber mit 100 Mark — da kannst du ja kaum die anfallenden Getränke im Monat bezahlen?!

N.: Oft lassen wir uns ja auch von irgend ’nem Typen einladen, oder wir trinken eben nichts!! Manchmal, da ist der Laden so voll, da fällt das gar nicht aufl!

"'Eine Kneipe muß hell sein. Die Leute sollen Fresse zeigen, sollen sich zeigen.'" ['Einblicke', S. 104]

„‚Eine Kneipe muß hell sein. Die Leute sollen Fresse zeigen, sollen sich zeigen.'“ [‚Einblicke‘, S. 104]

Zusammenfassende Thesen:

  • Besucher von Jugendkneipen sind weder schichtenspezifisch noch altersmäßig genau zu bestimmen.

  • Unterschiedliche subkulturelle Stile können sich widerspruchsfrei und freundschaftlich in einer Kneipe entwickeln und sich gegenseitig bestätigen.

  • Jugendkneipen stellen spezifische Territorien und Regenerationsräume dar für subkulturelle Gruppen (die "ein Rad abhaben") und für "normale"‚ "stillose" Gruppen.

  • Der "Stil" des Wirts bzw. seine "Stillosigkeit" bestimmt das Klima der Kneipe wesentlich, d. h. ob sie mehr subkulturelles Kommunikationszentrum oder kommerzielles Unternehmen ist.

  • Spielgeräte und Video-Fernsehen finden sich in fast jeder Kneipe, nur werden sie je nach "Stil" unterschiedlich gebraucht.

  • Auch Jugendkneipen fungieren als Teilmärkte für Waren wie Konzerte etc. Entkommerzialisierung durch öffentliche Förderung z. B. inklusive "Sozialarbeit am Tresen" könnten helfen, kreative Verarbeitungsmöglichkeiten von subkulturellem Konsum zu schaffen.

  • Mädchen machen auch in der Öffentlichkeit der Kneipen eine Minderheit aus. Jedoch treten sie immer häufiger allein in subkulturellen Kneipen auf, da in subkulturellen Lebenszusammenhängen die klassische bürgerliche Frauenrolle nicht gelebt wird.

  • Jugendliche in Kneipen sind oft sehr einsam und problemüberfrachtet. Als Interviewer ist man blitzschnell Ansprechpartner für sehr persönliche, intime Angelegenheiten.

  • Insgesamt: Jugendkneipen werden viel zu wenig in ihrer Funktion als sozialer Ort für Jugendliche beachtet — es sei denn von der Polizei und bösen Nachbarn.


  1. In den mittlerweile recht zahlreichen Veröffentlichungen zum Thema Jugendkultur finden sich bislang nur sehr spärlich Hinweise über die Bedeutung von Jugendkneipen, geschweige denn Beschreibungen oder gar Analysen. Lediglich der SPIEGEL 17/82 bringt ein süffisant-ironisches feature über ‚Jugend 82‘ wo Bemerkungen über die "Kneipe als Bühne" fallen; H. J . Wirth schreibt in "Verweigerungswünsche" … "… ein nicht unbeträchtlicher Teil ‚konformistischer‘ Jugendlicher", die im Berufsleben stehen, aber in der Freizeit ausflippen, "müssen immer wieder in das anheizende Bad der Musikszene eintauchen, um sich zu regenerieren und für den stressigen Alltag wieder fit zu sein." In: Michael Haller (Hg.)‚ Aussteigen oder rebellieren. Jugendliche gegen Staat und Gesellschaft. Spiegel—Buch, Hamburg 198l, S. 228. Wir haben also das durchaus zweifelhafte Vergnügen, hier Pionierarbeit zu beginnen.

  2. Die Namen der Kneipen wurden geändert.

  3. Aus unseren Interviews.

  4. Vgl. das Kapitel "Punks in Aachen".

  5. Bezieht sich auf die Zeit des "Neue-Deutsche-Welle" Publikums.

  6. Discothek in Aachen.

30. Dezember 2012

DAB/POLYDOR BANDWETTBEWERB 1974 AC

Zum Jahresabschluss noch was Schönes: Im September 1974 startete die Dortmunder Aktien Brauerei (zusammen mit Polydor) den „größten Musikwettbewerb (dieser Art), der je in der Bundesrepublik stattgefunden hat“. 150 Bands traten in Dortmund, Hildesheim, Oldenburg und AACHEN (Saalbau Rothe Erde) in den Sparten „Tanz/Unterhaltung“ und „Rock/Jazz/Beat/Pop“ zum Vorspielen an, um sich die ausgelobten 2500 DM zu sichern.
Zu gerne wüßte ich natürlich, wer denn gewonnen hat. Vielleicht liest das ja wieder mal jemand, der damals dabei war (Paul?)…?! Vielen Dank an Jolly für diesen Dachbodenfund.
Frohes neues Jahr allen Bloglesern!

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21. November 2011

Gaststätte Zum Anker – kleine Historie

Filed under: Aachener Kneipen — karl pach @ 1:11 pm

Etwa 100 (!) Jahre lang befand sich Promenadenstraße Ecke Gasborn eine heilige Stätte Aachener Trinkkultur. Mit dem Verkauf des Hauses, vor einigen Jahren, verschwand leider dieses  wertvolle Stück Gastronomie. Nachdem das Haus von Herrn Bündgens in den Besitz von Herrn Elektro Leffek überging, ließ Leffek erstmal alles rausreissen. Leffek installierte sowas wie ein Kneipenbistrot und ging damit baden. Der Anker fand auch mal seinen Weg zum Film. In Duisburg fand sich keine Kneipe mit derartigem Hafencharme. Eine Sequenz eines frühen (Post Tatort) Schimanskis wurde im Anker gedreht.

Ehemaliger Ankerwirt (Hein): „Früher haben wir nie Wechselgeld rausgegeben“.

Links das Lokal in der Neubauphase, daneben kurz nach dem letzten Krieg.

Unten die Schankfrau der Wiederaufbauzeit. Die Dekoration hier noch nicht so nautisch orientiert.

Folgend Thekenfrauen der letzten Generation. Solo die Tochter des letzten Wirts Fred Kohlberg, Anne. Anne hatte schon früh Erfahrungen im Business gesammelt, Anfang der 80er Jahre führte Sie die Gaststätte Dschungel in der Promende. Ganz recht, es gab 2 Etablissements namens Dschungel.

Was den Laden besonders macht wird in folgenden Clips dokumentiert. Beginnend mit der historischen Aufnahme eines jener seltenen gesellschaftlichen Rituale, welchen nur Eingeweihte beiwohnen durften.

Das Publikum war handverlesen, welche Kriterien bei der Auswahl eine Rolle spielen erläutert hier ein  engagierter Gast.

Der Blick ins Aquarium half der inneren Einkehr. Die Fische mußten leider öfters gewechselt werden…

 

31. Dezember 2010

AC DISCOTHEKEN&KNEIPEN SZENE 1982

Filed under: a, Aachen in den 80ern, Aachener Kneipen, Discos AC — Allo Pach @ 12:40 pm

Hier mal wieder ein kleiner Aachener Kneipen/Discotheken Überblick. Diesmal aus dem Stadtbuch Aachen, 1982 (Klenkes Verlag), welches Babula und ich gestern in einem Antiquariat der Kaiserstadt auftaten.

Wie immer sind kleine Geschichten zu den Örtlichkeiten willkommen. Besonders interessant:
Le Spectacle (war ich da je?), CaDeWe (New wave Kneipe?), Rinnsal, Muckefuck, Sandloch(?).
Erstaunt hat mich, dass es 1982 das UKW noch gab, außerdem wußte ich nicht, dass das Make up auch mal Top/Hollywood hieß. Wann war das? Noch ne Frage: Wo war denn die Rollerdisco in der Citypassage?

9. November 2010

Aachener Kneipen – Postkartenansichten Pt.1

Filed under: Aachener Kneipen — karl pach @ 2:00 pm

Babula hat ja recht, der blog sollte wieder aktiver werden. Auf die schnelle ein paar seltenere Postkartenansichten Aachener Gaststätten:

Der Domkeller, deutlich vor seinem Umbau in den 70ern.

Beckers am Ponttor: Sieht verdächtig danach aus, was heute als Labyrinth die Studenten vergiftet.

Orchidee in der Monheimsallee, leider seit Anfang der 80er dicht. Da hätte ich gerne ein Herrengedeck bestellt.

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